Nordlichter
Kopf
Jazz - Lyrik - Prosa
Gregorij Kossonossow war eine bekannte Persönlichkeit. Selbst der Radiosender Antenne MV ließ den Helden aus DDR-Zeiten nach der Wende im lilafarbenen Raumanzug in der Weltraumstation MIR um die Erde schweben. Sein Ausspruch war legendär:
Es entwickelt sich, Genossen Bauern!
Das ist ein Zitat aus "Die Kuh im Propeller" von Michail Sostschenko, und es wird nur den Ostdeutschen etwas sagen, die beim Untergang der DDR mindestens erwachsen waren. Alle anderen wie auch meine westdeutschen Landsleute werden vermutlich mit "Lyrik, Jazz und Prosa" nichts anfangen können. Ätsch, da habt Ihr leider etwas verpasst, meine Lieben! Zu DDR-Zeiten war das Kult. Es gab Mitte der sechziger Jahre Veranstaltungen des Verlages Volk und Welt mit einer Jazzgruppe und bekannten Schauspielern als Rezitatoren. Natürlich habe ich diese Vorstellungen nicht gesehen. In der Plattensammlung meiner Eltern befand sich aber eben jene LP "Lyrik, Jazz und Prosa". Die besten und komischsten Stücke darauf sind für mich "Die Kuh im Propeller" und "Der Flaschenzug" vorgetragen von Manfred Krug, sowie "Der Engel" und "Der Hase im Rausch" rezitiert von Eberhard Esche. Ich hatte das alles längst vergessen, aber im Krankenhaus in Greifswald versuchten meine Mitpatientin und ich "Den Hasen im Rausch" vollständig wiederzugeben. So ganz ist uns das nicht gelungen. Sie sagte mir, dass die LP jetzt als CD neu erhältlich sei.

Wieder zu Hause hatte ich natürlich nichts besseres zu tun, als nach der CD bei amazon, Weltbild und buecher.de zu fahnden. Es gibt sie überall unter dem Titel "Jazz - Lyrik - Prosa". Das Cover sieht dem der alten LP ähnlich. Im Heftchen zur CD erfährt man, dass z.B. Wolf Biermann bei den Veranstaltungen mit aufgetreten ist. Das wusste ich vorher nicht. Die LP gab sich unpolitisch. Aber wenn die gesamte Mannschaft "We shall overcome" sang, dann war das politisch gemeint, und wurde von den Zuhörern auch so verstanden. In der DDR waren die Künstler einfallsreich darin Botschaften zu verstecken und das Publikum erfinderisch genug zwischen den Zeilen zu lesen. Als Neubundesbürger wird mir in dieser Hinsicht nicht mehr viel abverlangt. Ob Literaturschaffende aus der UdSSR oder Heinrich Heine man musste nur die passenden Stücke auswählen, um seine Botschaften zu transportieren.

Ich erinnere mich an einen Heineabend im DDR-Fernsehen, nach dem ich feststellte, Heine müssten sie immer noch verbieten. Natürlich dachte man in der DDR nicht daran Heinrich Heine, der mit den Herren Marx und Engels bekannt war, auf den Index zu setzen. In der BRD tut man sich aus demselben Grunde schwer mit Herrn Heine.

Aber zurück zu Genossen Gregorij. Die Stücke sind auch nach vierzig Jahren immer noch gut und haben nichts von ihrem Charme verloren. Höhepunkt, als sich Eberhard Esche gegen einen aufdringlichen Fotoreporter mit dem Gedicht "Der Hase im Rausch" wehrte, "Du Strohkopf willst es also wagen mich zu belästigen mit dem Gebrüll ..." Heute wohl so nicht mehr einsetzbar, es sei denn, man schlösse gern Bekanntschaft mit einem abmahnfreudigen Anwalt. Damals, das war eine andere Zeit, und das Publikum im Saal amüsiert. Die DDR war mehr als Mauer und Stasi, wie uns manche Kommentatoren gewöhnlich glauben machen wollen. DDR-Nostalgie at its best, hier ist sie.