Nordlichter
Kopf
Nach der 5. OP
Natürlich wollte ich Euch mit meiner letzten Mitteilung nicht erschrecken, meine Lieben. Fakt ist aber, dass ich 7 kg abgenommen und mich nach keiner Operation so schlecht gefühlt habe wie nach dieser. Mein Bruder, der mich mit unserem Vater abgeholt hatte, stellte fest, ich wäre nur noch Haut und Knochen. Meine Arbeitskollegin, die mich hier in meiner Krankengruft besuchte, sagte meine Wenigkeit betrachtend nur zwei Worte: "Oh, Gott!"

Im Prinzip bin ich zu früh aus dem Krankenhaus entlassen worden. Aber seit die Krankenhäuser per Fallpauschalen vergütet werden, ist man als Patient nur noch ein lästiger Kostenfaktor. Wenn es nichts mehr zu diagnostizieren oder zu operieren gibt, rechnet es sich finanziell die Patienten so rasch wie möglich nach Hause zu schicken. In der Wikipedia wird diese Vorgehensweise als Blutige Entlassung bezeichnet:
Eine vorzeitige Entlassung von Patienten aus dem Krankenhaus aus wirtschaftlichen Gründen wird von Kritikern als Blutige Entlassung bezeichnet. Vorzeitige Entlassungen bergen neben den Risiken für die Patienten aber auch Kostenrisiken für die Krankenkassen, z.B. wenn wegen der Erkrankung vermehrt ambulante Krankenbehandlung, häusliche Krankenpflege oder gar ein erneuter stationärer Krankenhausaufenthalt nötig werden (Drehtür-Effekt).
Von niedergelassenen Ärzten wird kritisiert, dass sie das wirtschaftliche Risiko der Entlassungen zu tragen haben, da die ambulanten Behandlungen durch die nicht abgeschlossene Heilung teurer und aufwändiger werden, ohne dass sie bei den Krankenkassen vollständig abgerechnet werden können.
Am Dienstag schleppte ich mich zum Hausarzt. "Warum hast du nicht angerufen?", fragte mich die Sprechstundenhilfe, als ich dort japsend auf einem Stuhl im Wartezimmer lag. Sie schickte mich zum jungen Arzt in die Sprechstunde, denn mein Doktor war stark erkältet. Der Sohn ist nicht nur in der Schul- sondern auch in der Alternativmedizin bewandert. Ich sollte mir überlegen, ob ich eine Mispeltherapie wollte. Aber mein Problem ist einmal mehr meine Rückseite und meine körperliche Schwäche. Ich erklärte, dass ich mich allein waschen und anziehen kann aber Hilfe im Haushalt brauche. Der Arzt versprach sich darum zu kümmern.

Das Sichkümmern dauerte mir eindeutig zu lange. Ich rief am Freitag in der Praxis an. Die Sprechstundenhilfe nahm die Sache in die Hand und kurze Zeit später meldete sich am Telefon ein Pflegedienst. Im Laufe der darauffolgenden Woche tauchten hier verschiedene Mitarbeiter des Dienstes mit verschiedenen Formularen auf. Ich sollte für die Bezahlung der Kosten eine Pflegestufe beantragen.

Das erschien mir doch sehr suspekt, und ich rief bei meiner Krankenkasse an. Die Mitarbeiterin, der ich meine Situation schilderte, beruhigte mich. Ich habe Glück, meine Krankenkasse übernimmt die Kosten für eine Haushaltshilfe für maximal vier Wochen. Andere Krankenkassen zahlen nur, wenn ein Kind zur Familie gehört. Das geht doch glatt am Leben vieler alten und alleinstehenden Menschen vorbei. Ich bekomme die Hilfe für drei Wochen auf Rezept. Die Angestellte des Pflegedienstes war das erstemal zehn Tage nach meinem Arztbesuch bei mir. Sie hilft mir dreimal die Woche für jeweils eine Stunde. Für mich ist das eine große Erleichterung.

Mein Hausarzt vereinbarte für mich auch einen Termin beim Urologen. Dort war ich in der letzten Woche. Es ist eine Gemeinschaftspraxis. Eine dreiviertel Stunde nach dem festgesetzten Termin, und kurz bevor ich im Warteraum vom Stuhl rutschte, wurde ich von einem älteren Arzt ins Sprechzimmer gerufen. Ich berichtete ihm, dass mein Hausarzt eine geheime Verbindung zwischen Darm und Blase vermutete. Dann musste ich meine Gebrechen aufzählen. Der Doktor hatte einiges zu tippen. Als ich beim Brustkrebs angelangt war, erzählte er mir, dass seine Frau ebenfalls daran erkrankt war. Sie hatten sich gemeinsam gegen eine Chemotherapie entschieden, und die Frau hatte auch eine Lungenmetastase bekommen. Was half mir das? Meine Metastase war ein Geschenk meines Darmkrebses.

Meinen Hinweis, dass ich wegen der Brustoperation nur noch den linken Arm für Blutabnahme und ähnliches vorzeigen würde, tat der Doktor mit Panikmache der anderen Ärzte ab. Ich erklärte ihm, wegen der Lymphödeme in beiden Beinen, und der Kompressionsstrümpfe, die ich tragen muss, bin ich nicht scharf auch einen dicken Arm zu bekommen. Dann folgte die Ultraschalluntersuchung meines Bauches. Noch während ich auf der Pritsche lag, rief der Doktor nach seinem jungen Kollegen: "Ich habe hier eine Patientin. Lies dir mal die Anamnese durch, da wird dir schlecht!" Das hatte mir gerade noch gefehlt, ein Arzt mit coolen Sprüchen auf den Lippen. Der jüngere, der Erich Zabel ähnlich sah, las den Text am Bildschirm und verkniff sich jeden dümmlichen Kommentar. Sie beratschlagten, wie sie mich eine Woche später röntgen wollten. Der jüngere Arzt sagte mir, falls er im Röntgenraum sitzt, muss ich ihn daran erinnern, noch eine Aufnahme mit leerer Blase zu machen. Sein älterer Kollege könne sich das so merken, er aber nicht. Sein Gedächtnis sei nicht so gut.

Heute morgen war ich im Kreiskrankenhaus zum Röntgen, im Raum saß der ältere Arzt. Ich legte mich auf die Pritsche. Er setzte sich auf einen Hocker rechts neben mich und machte dann Anstalten mir in den Arm zu piksen. "Nein," sagte ich "die andere Seite." Er fragte, warum ich gewartet habe, bis er sich niederließ. "Woher soll ich wissen, was Sie vorhaben?", war meine Antwort. „Huch, sind Sie aber dünn!“, stellte der Doktor erstaunt fest. „Da brauche ich ja nur die Hälfte des Kontrastmittels.“ Nach dem Röntgen sollte ich vom Kreiskrankenhaus zur urologischen Praxis gehen, die nur ein paar hundert Meter entfernt ist. Für mich in meinem gegenwärtigen Schwächezustand eindeutig zu weit. Ich ließ ein Taxi rufen.

Eigentlich wollte ich in der Praxis nur den Zettel für die Untersuchung abgeben und dann gleich verduften. Die Schwester bat mich zu bleiben, der Doktor würde für die Auswertung nur zehn Minuten brauchen. Im Gegensatz zu meinem ersten Besuch ging es diesmal wirklich fix. Beim Betrachten der Röntgenbilder stellte der Arzt fest, dass die Aufnahme mit leerer Blase fehlte. Ich wollte ihn doch erinnern. Von wegen, seinen jungen Kollegen, ja. Das Röntgen hatte keine Verbindung zwischen Darm und Blase gezeigt. Zu meiner besonderen Erleichterung sind meine Nieren völlig in Ordnung. Der Arzt sagte mir, das sei für die Medikamenteneinnahme besonders wichtig. Endlich einmal eine gute Nachricht! Der Doktor fragte zum Abschied, ob ich vorbeugend einen Termin für die Sprechstunde wollte. Ich verneinte, diese Praxis sieht mich nur wieder, wenn ich muss.

Müßig darauf hinzuweisen, dass ich wegen meiner Gebrechlichkeit nach der OP weder in der Lage bin allein ins Kreiskrankenhaus noch in diese Arztpraxis zu gehen. Es blieb mir nichts weiter übrig als ein Taxi zu rufen. Nach der Gesundheitsreform bezahlen die Krankenkassen nur noch Fahrten zur Strahlen- bzw. Chemotherapie. Ich muss die Kosten also von meiner mageren Erwerbsminderungsrente bestreiten. Das Ziel der Gesundheitsreform ist ja auch nicht in erster Linie das Wohl der Patienten, sondern ganz Neusprech Kostendämpfung. Der Hausarzt besucht einen noch in der eigenen Wohnung, aber wenn man schwer krank ist, benötigt man nicht nur den Hausarzt. Die Möglichkeit, dass ein Patient so leidend ist, dass er nicht selbst zum Arzt kann, niemand hat der ihn dorthin bringt und auch noch zu arm ist, um die Fahrkosten zu tragen, ist in der Gesundheitsreform nicht vorgesehen. Deshalb wird es auch so einen Fall in der Praxis in Deutschland nie geben!

Die Nachrichtenagenturen meldeten in den letzten Tagen, die Bundestagsabgeordneten stocken ihre Diäten um 9,4 % auf. Recht so! Ich möchte meine Rentenerhöhung auch selbst festlegen.