Nordlichter
Kopf
Sonntag, 14. Mai 2006
Freitags wird gebadet
In einem hat Herr Popa völlig Recht, ich habe die Pickel der Beauty-Queen keines Blickes gewürdigt. Mich plagen einfach ganz andere Probleme als Pusteln.

Dies war meine Erholungswoche, am Montag habe ich wieder Chemotherapie. Wie es mir zwischen zwei Chemos geht, bestimmt allein mein Hintern. Diese Woche war er mir meist wohlgesonnen. So nutzte ich die Gelegenheit meine Arbeitskollegen zu besuchen. Den letzten derartigen Ausflug, der nicht ins Krankenhaus ging, hatte ich Ende März. Aber ich war wirklich nur als Gast dort. Sie würden, wie mein Chef sagte, zeitlich begrenzt jemand einstellen. Natürlich war das zu erwarten, es ist nur ein kleiner Bereich. Jeder der fehlt reißt eine Lücke, aber traurig bin ich doch. Ich fühle mich wieder mal so richtig ausgesperrt. Im familiären Leben ist das nicht anders. Anfang Juni trauen sich zwei aus meiner Sippe, und ich werde diese Hochzeit verpassen. Mein eigener, auch noch runder, Geburtstag fällt in diesem Jahr auf einen Dienstag. Den werde ich, wenn ich richtig gezählt habe, mit der Chemopumpe um den Hals begehen.

Mein Chef hatte mir erklärt, sie würden auch deshalb jemand anheuern, weil, wenn ich dann stundenweise wieder im Einsatz bin, damit zu rechnen wäre, dass es mir wieder schlechter gehen könnte. Nun, ich habe nicht die Absicht, wenn ich arbeite, die Hufe gleich wieder hochzureißen. Ich weiß sehr gut, was ich mir zumuten kann und was nicht. Im Gegensatz zu meinem gesunden Leben, gibt es Grenzen. Darüber hinaus geht nichts, ob mir das nun gefällt oder nicht, ich muss es akzeptieren. Ich habe gelernt damit zu leben.

Aber es geht mir inzwischen besser, und ich will mich nicht den ganzen Tag mit der Krankheit beschäftigen. Ich will auch nicht mehr ausschließlich über meinen Darmkrebs bloggen. So habe ich heute einen kleinen Spaziergang im Viertel unternommen mit der neuen Kamera im Rucksack. Ich brauche ein Bild für mein Reiseblog, dort ist es noch Winter. In den Gärten an meinem Weg blühte der Flieder. Wenn ich etwas besonders liebe, dann ist es der Flieder und sein Duft. Aber ich war nicht nur zum Schnuppern draußen. Ein wenig Farbe im Gesicht tut mir auch gut, sonst bemängeln die Schwestern in der Onkologie wieder meine vornehme Blässe. In der Hausarbeit gibt es auch Fortschritte. Neben meinem Lesesessel im Schlafzimmer steht das erste Körbchen mit alten Handbüchern, Zeitungen und Zeitschriften zum Aussortieren. Ich konnte mich auch endlich in die Wanne legen. Im Gegensatz zu der Operationsnarbe, die ich im Greifswalder Uni-Krankenhaus besichtigen durfte, ist meine viel hübscher und optimal zwischen die beiden anderen auf meinem Bauch plaziert. Es entwickelt sich, wenn auch nur langsam.

Wenn mich mein Hintern mit allzu vielen Toilettengängen quält, wünsche ich mir manchmal mein Stoma zurück. Durch das ständige Training bin ich auf kurzen Strecken inzwischen recht flink. Schade, dass hinter meinem Wohnblock keine Bänke mehr stehen. Dann könnte ich mich dort hinsetzen, ein Buch lesen und nebenbei mein Sprintvermögen auf längere Distanzen trainieren. Die nächste Parkbank steht am Ernst-Barlach-Platz. Das ist leider noch zu weit weg. Inzwischen hat sich mein Darm so weit beruhigt, dass ich nicht mehr alle 10 Minuten rennen muss. Ich komme jetzt auf drei bis vier allerdings recht lange Sitzungen pro Tag. Damit ich mich dabei nicht langweile, liegt Literatur griffbereit auf der Waschmaschine. Aber ich bin nicht die einzige, die diesem Zeitvertreib frönt, es gibt noch mehr bloggende Toilettenleser. In meiner eigenen Sippe ist mein Neffe mit dieser Schwäche erblich belastet, sehr zum Missfallen seines Vaters. Wie dem auch sei, so lässt es sich ganz gut aushalten. Aber ich habe nicht vor, meine Tage und halbe Nächte auf dem Klo thronend zu verbringen.

Die Diagnose Krebs ist eine große Zäsur im Leben. Manche stellen danach ihr Wertesystem völlig um. Ich musste das nicht. Liebe und Freundschaft sind am wichtigste im Leben, daran hat sich nichts geändert. Ohne die Hilfe der Menschen, denen ich am Herzen liege, würde ich mit den Folgen meiner Krebserkrankung nicht fertig werden. Meine Freundin z.B. steht jeden Freitag hier auf meiner Matte. Wenn sie ihren Wochenendeinkauf erledigt, versorgt sie mich gleich mit. Zeit um miteinander zu sappeln, nehmen wir uns immer. Ich mache keine großen Pläne für die Zukunft. Ich lebe ganz im Heute und Hier. Warum sollte ich irgendetwas zurücklegen? So habe ich mir die digitale Spiegelreflexkamera jetzt gekauft und nicht erst in drei Jahren. Was weiß ich, was dann ist.

Am Wochenanfang war hier in meinem Weblog wegen des Artikels "freundin" etwas mehr los als üblich. Inzwischen ist es wieder ruhig in der von mir besetzten Nische. Während zum Thema "Krebs" noch viele Einträge bei Technorati zu finden sind, sind es zum Darmkrebs schon deutlich weniger. Bloggende Stomaträger gibt es auch nicht die Masse. Zu Mastdarmkrebs, an dem ich ja leide, gibt es bei Technorati genau vier schon etwas ältere Einträge, außer meinem eigenen, einen der ins Webnirvana führt und zwei eines Physikers, der außer für einen Wunderdoktor für die B17-Therapie wirbt. Für mich sind diese Heilsversprechen kein Grund zum Ausprobieren. Warum sollte ich einem unbekannten Physiker mehr trauen als meinem Onkologen?

Im WDR nahm man sich in der Sendung "Planet Wissen" des Themas "Selbstheilung - von Placebos und Schamanen" an. Ich hatte mich in einem früheren Artikel schon einmal zum Thema Alternativmedizin und Placebo geäußert und im Schockwellenreiter darüber diskutiert. Meine Ansicht dazu hat sich nicht geändert. Ich fühle mich durch die Sendung eher noch bestärkt. Bei vielen Gesunden sehe ich Unverständnis, wenn sich Krebspatienten der Alternativmedizin zuwenden. Eine Krebserkrankung löst vor allem eins aus, große Ängste. Wenn der Tod nahe steht, greift man nach jedem Strohhalm.
Im Schützengraben gibt es keine Atheisten.
Auch ich kenne die Statistiken bei meiner Erkrankung Mastdarmkrebs Stadium III. Eine Garantie, dass der Krebs nicht wiederkommt, kann mir niemand geben. Bei etwa einem Fall auf 100.000 Patienten treten bei Darmkrebs Spontanheilungen auf. Darauf sollte man sich also nicht verlassen. Da heißt es, sich weiter durch die Chemotherapie quälen, der nächste Versuch läuft morgen.

Nebenbei erfreut jemand wie Arbeitsminister Müntefering mein treudeutsches Untertanenherz mit so coolen Sprüchen wie:
Nur wer arbeitet, soll auch essen.
Auch wenn ich mit meinem Darmkrebs den deutschen Krankenkassenversicherten so richtig schön schwer auf dem Portemonnaie liege, glaube ich kaum, dass irgendjemand mit mir tauschen möchte. Auch dann nicht, wenn mein Krankengeld das Salär eines HartzIV-Betroffenen um ein Vielfaches übersteigt. Meine Doktoren dürfte es wenig begeistern, wenn ich mich an den Spruch hielte. Beim Hausarzt musste ich auf die Waage klettern. Die gute Nachricht ist, ich habe kein Gewicht verloren. Ich bin immer noch 54 kg schwer. Beim Besuch an meinem Arbeitsplatz traf ich einen Kollegen, der mich schon lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. Er stellte fest, dass ich sehr abgenommen hätte und bot mir auch gleich an, einige Kilogramm von sich zu übernehmen. Derlei Offerten bekomme ich häufig. Ich wäre entzückt, wenn ich 10 kg mehr auf die Waage bringen könnte. Meine Freundin war erbost, wenn ich schon von jemandem Kilo übernehme, dann doch gefälligst von ihr.

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