Nordlichter
Kopf
Montag, 24. April 2006
Alles nochmal von vorn,
das übt. Hatte ich ja leichtsinnigerweise vor der Operation an meiner Leber gesagt, dass dies aber noch eine Chemotherapie einschließt, war jedoch nicht abgemacht. Genausowenig eingeplant war, dass die zweite Chemo noch einen Zahn schärfer wird als die erste. Immer getreu Murphys Gesetz:
Wenn es dir schlecht geht, lächle. Es kommt noch schlimmer.
Ich bekam wieder eine Chemopumpe, die diesmal an zwei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils 22 Stunden lief. Bei der ersten Chemotherapie hatte ich das Ding ja für eine Woche um den Hals. Übel war mir dafür auch gleich am Abend des ersten Behandlungstages. Nach Auskunft der Schwester hätte ich diesmal als Nebenwirkung schmerzhaftes Fingerkribbeln haben müssen. Von Kribbeln in den Fingern spürte ich nichts. Ich hatte dagegen wieder die üblichen Verdächtigen Übelkeit und Erbrechen am Hals. Komischerweise tat mir auch der Kiefer an beiden Seiten weh, sobald ich nur versuchte etwas zu essen. Die Schwester sagte, darüber hätte noch niemand geklagt. Sie schob es auf meine übergroße Magerkeit. Aber der Kiefer schmerzt nur in der Woche, in der ich die Chemo habe. It is not a bug it is a feature, würde mein Chef behaupten. Ich halte meine Kiefernbeschwerden für ein Merkmal der Chemo.

Zusätzlich kämpfe ich ja immer noch mit den Folgen der Rückverlegung wie schmerzhaftes Darmkollern und vermehrte Toilettengänge. Meinem Stuhl zufolge bin ich jetzt ein Kaninchen. Allerdings muss ich jeden Köttel einzeln zum Klo tragen. Der Arzt in Greifswald hatte mir geraten, zum Aufbau der Darmflora vermehrt probiotisches Zeug zu trinken. Die Wirkung scheint aber mehr eine Glaubensfrage zu sein. In der Apotheke gibt es Mittel um die Darmflora wieder in Gang zu kriegen, nur bei einer Chemotherapie verbieten die sich von selbst. Es sind lebende Organismen, und die Tierchen könnten sich in diesem Fall über den ganzen Körper ausbreiten. Das wäre dann doch zuviel des Guten. Es gibt für mich nur eine Möglichkeit mit den bösen Blähungen fertigzuwerden, ich krabbel in mein Bett, rolle mich dort zusammen und warte, bis die Schmerzen nachlassen.

In der Chemowoche habe ich außer viel Tee an manchen Tagen gerade mal ½ Brötchen zu mir nehmen können wegen Übelkeit oder Bauchschmerzen oder beiden zusammen. Davon kann ich natürlich nicht groß und stark werden. Genau eine Wochen nach der Chemotherapie, bin ich wieder zur festen Nahrung übergegangen. Auf meinen Körper hatte das einen durchschlagenden Erfolg. Nach einigen hektischen Sitzungen war mein Bauch völlig leergeräumt und ich so erledigt, dass ich mich gleich ins Bett packte. Ansonsten sehe ich durchaus Fortschritte, die letzte Operationsnarbe heilt langsam zu, mein Hintern ist nicht mehr blutig, und ich muss nicht alle fünf Minuten auf Klo sondern nur noch alle zehn Minuten.
Es entwickelt sich, Genossen Bauern!
Ich hatte unverkennbar eine Begegnung mit Gregorij Kossonossow und „Jazz – Lyrik – Prosa“. Über die CD werde ich demnächst einen Artikel schreiben, wenn mich mein Hintern denn für längere Zeit vorm Notebook hocken lässt. „Den Hasen im Rausch“ kann ich inzwischen wieder vollständig rezitieren. Im Greifswalder Unikrankenhaus hatte ich da noch einige Schwierigkeiten. Die Chemotherapie hält für mich nicht viel Amüsantes bereit, da muss ich meinen CD-Player schon ab und zu mit so etwas füttern wie diesem Silberling.

Im Fernsehen hingegen hatte die ARD für eine Woche das wenig vergnügliche Thema Krebs im Programm. Ich habe davon kaum etwas gesehen. Wie man sich fühlt, wenn man aus heiterem Himmel mit der Diagnose Krebs konfrontiert wird, weiß ich aus erster Hand. Genausowenig muss ich mir im Fernsehen anschauen, wie man sich mit den Nebenwirkungen von Chemotherapie und Bestrahlung rumschlägt. Das kenne ich, und was die Chemo betrifft, erfahre ich das jede zweite Woche von neuem, ich breche einfach still vor mich hin.

Ich habe mir die Dokumentation über einen kleinen Jungen angesehen, der schon viele Metastasen hatte. Seine Ärzte haben seine Chancen mit 50% bewertet. Die Eltern haben daraufhin die Chemo abgebrochen und behauptet, ihrem Kind würde es jetzt besser gehen. Na sicher, die Chemotherapie ist eine Quälerei! Wenn ich sie aufgebe, würde auch ich mich mit einem Schlage besser fühlen, aber geheilt wäre ich damit noch nicht. Die Chance, dass der Krebs wiederkommt, würde sich vergrößern. Die Eltern haben mit ihrer Entscheidung ihrem Kind jegliche Möglichkeit genommen. Statt der Ärzte haben sie einem Quacksalber mit Doktortitel vertraut, der ihnen versprach seine Vitamintherapie würde den Krebs heilen. Beweisen musste er seine Behauptungen nicht. Dieser Doktor stellte sich bei seinen Werbeveranstaltungen sehr erfolgreich als Verfolgter der Ärzteschaft und der Pharmaindustrie dar. Niemand stellte seine Thesen bei diesen Konferenzen in Frage. Erstaunlich, oder doch eher nicht? Den kleinen Jungen benutzte er als Gallionsfigur für seine Propagandaversprechen. Während im Kinderkörper die Metastasen wuchsen und wuchsen, erklärte dieser Doktor der Junge wäre durch seine Mittel vom Krebs geheilt. Genügend Geld verdeckt anscheinend jeden Skrupel. Die Wirklosigkeit dieser Vitaminpillen bei Krebs ist nachgewiesen. In Deutschland können sie so nicht verkauft werden. Aber es gibt ja den Versandhandel, der aus der Schweiz liefert. Die Ärzte konnten die Sache nicht auf sich beruhen lassen und haben versucht, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen. Das Gericht hat diesen Antrag nur abgewiesen, weil der Krebs schon zu weit fortgeschritten war. An diesem ist der kleine Junge letztendlich gestorben. Darüber gibt es ein amtliches Dokument. Seine Eltern hingegen leugnen noch immer, dass sie ihr Kind durch Krebs verloren haben. Aus ihrer Sicht ist das verständlich, denn dann müssten sie ihre Mitschuld eingestehen. Sie haben die Chemotherapie abgebrochen. Für mich unfassbar macht der Quacksalber noch immer sein Geschäft mit der Hoffnung der Krebskranken. Es gibt leider kein Gesetz, das verbietet aus der Dummheit der Menschen Profit zu schlagen, nicht einmal in einem moralisch so fragwürdigen Fall.

Der andere Bericht, den ich sah, zeigte eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern. Ihr hatte der Arzt nach der Therapie ein aus seiner Sicht notwendiges Mittel verschrieben, damit der Krebs nicht wiederkommt. Die Krankenkasse weigerte sich die Kosten zu übernehmen. Als Privatpatientin hätte die Frau das Medikament ohne Wenn und Aber erhalten. Die Mitarbeiter der Krankenkasse waren echt süß, sie sagten der Patientin, sie solle doch bedenken, wieviel sie ihrer Krankenkasse kosten würde. Ob diese Mitarbeiter die Kostenfrage auch stellen würden, wenn sie selbst oder ein Familienmitglied erkrankt wären? Die Patientin hat ihr Medikament doch noch bekommen, einfach weil sie hartnäckig genug ihre Krankenkasse nervte. Die Begründung, die sie daraufhin dem Reporter gab, und die dieser nicht in Frage stellte, hinterließ bei mir jedoch einen üblen Nachgeschmack. Sie sagte, sie müsse das Mittel bekommen, weil sie noch jung wäre und zwei kleine Kinder hätte. Wollen wir jetzt anfangen Medikamente nach einem Punktesystem zu vergeben? Nach meinem Empfinden soll jeder Patient, die notwendigen Medikamente erhalten unabhängig von Alter, Geschlecht, Familienzugehörigkeit, Anzahl oder Alter der Kinder. Alles andere wäre eine Form von Euthanasie und weder mit der Würde des Menschen noch mit dem Grundgesetz vereinbar. Punktum!

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