Nordlichter
Kopf
Sonntag, 2. April 2006
Wie weiter?
Am Montagmorgen fuhr ich per Taxi ins ambulante Zentrum des Demminer Kreiskrankenhauses. Mein Onkologe sagte einfach, nachdem er den Brief aus Greifswald gelesen hatte, "Dann schlagen wir noch einmal drauf." Ich erhielt den Montag in einer Woche als Termin, dann beginnt meine 2. Chemotherapie.

Weil ich diese Nachricht nicht für mich behalten konnte, spazierte ich zwei Straßen weiter zu meinen Arbeitskollegen. Sie waren genauso wenig begeistert wie ich. Mit mir können sie dieses Jahr nicht mehr rechnen. Trotzdem werden sie mich weiter unterstützen wie bisher. Einer meiner Arbeitskollege kochte mir erstmal einen Fencheltee. Die Arbeitskollegin hatte am Wochenende Geburtstag gehabt, und so beschlossen sie, das Geburtstagfrühstück am nächsten Tag zu machen, damit ich daran teilnehmen konnte. Ab nächster Woche wird es in dieser Hinsicht für mich ja schwieriger. Ein Arbeitskollege setzte mich bei meinem Hausarzt ab. Ich übergab den Brief und erhielt, weil das Wartezimmer brechend voll war, einen Termin für den nächsten Morgen.

Ich ging noch in den Blumenladen nebenan, um ein Sträußchen für meine Arbeitskollegin zu kaufen. Die Blumenfrau fragte mich, ob ich krank wäre, weil ich so abgenommen hätte. Ich kaufe schon jahrelang meine Blumen bei ihr und lasse mir Sträuße binden. Deshalb sah ich keinen Grund, es ihr nicht zu sagen, zumal ich mir sicher war, Verständnis und Mitgefühl zu finden. Mein Krebs ist keine geheime Staatsaktion. Wenn man wie ich innerhalb von 8 Monaten 20 Kilo abnimmt, ist das nun mal zu sehen. Ich wiege jetzt 54 kg, das ist gerade noch Kleidergröße 34. Demnächst kann ich mich in der Kinderabteilung umsehen. Ein Besenstiel wirft im Augenblick einen breiteren Schatten als ich.

Nach dem Geburtstagfrühstück am nächsten Morgen suchte ich meinen Hausarzt auf. Mein Arzt war sauer, aber nicht mit mir, sondern weil ich 14 Tage nach der Operation noch voll verklammert vor ihm lag. Der Brief, den ich ihm aus Greifswald mitgebracht hatte, verkündete hingegen, die Klammern wären mir gezogen worden. Ich erklärte, ich wüsste nicht, was in dem Schreiben stand. Sonst hätte ich mich schon beim Arzt in Greifswald beschwert. Ich erzählte auch, dass ich gefragt hätte, ob mir die Klammern entfernt werden würden. Die Antwort war ja gewesen, dass würde beim Hausarzt passieren. Mein Arzt sagte mir, er würde mich am liebsten zurück in die Greifswalder Klinik schicken, damit sie mir dort die Klammern ziehen. Aber natürlich tat er mir das nicht an. Die Schwester entfernte mir die Klammern und klebte anschließend ein Pflaster auf, weil es an einer Stelle ein wenig suppte.

Inzwischen bin ich über eine Woche zu Hause. Die Wunde suppt immer noch, hoffentlich entzündet sich das nicht. Im Gegensatz zum Krankenhaus, wo mein Darm erst am Nachmittag anfing zu rumoren, arbeitet er jetzt den ganzen Tag. Mein einziges Trachten besteht darin, mir nicht in die Hosen zu machen. Ich habe keine eine große Sitzung sondern an die einhundert kleine. Meine Unterwäsche schütze ich mit ganz normalen Binden, nicht mit solchen Surfbrettern wie im Krankenhaus. Zu Windeln wollte ich noch nicht übergehen. Ich hatte den Arzt im Krankenhaus gefragt, ob mich nach der OP Dauersitzungen und ein Pavianhintern erwarten würde, wie ich im Stoma-Forum gelesen hatte. Er hatte verneint, bei mir wäre noch genug Dickdarm vorhanden. Die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Mein Hintern ist wieder wund und blutig. Obwohl mir mein Arbeitskollege das zarteste Toilettenpapier besorgt hat, was in der Drogerie zu bekommen war, ist es für meinen Po wie Sandpapier. Weil ich so oft auf Klo muss, ist mir übel, und Appetit habe ich auch längst keinen mehr. Am liebsten würde ich gar nichts mehr essen, wenn die Folgen nicht so dramatisch wären. Ich bin schon dünn genug. Essen kann ich immer noch nicht alles. Im Stoma-Forum habe ich den Link Ernährung bei Krebs und nach Darmoperation gefunden. An die Empfehlungen halte ich mich.

Meine Krankheit dauert nun schon so lange, ohne dass ich zur Ruhe komme. Immer, wenn ich gedacht habe, jetzt hätte ich es überstanden, kam was Neues und haute mir die Beine weg. Die Sippe, die Freunde, die Arbeitskollegen, alle reden sie mir gut zu, und sagen ich soll durchhalten. Aber so langsam merke ich, wie ich mürbe werde. Ich habe die Nase gestrichen voll, obwohl es ja eigentlich mehr die Hose ist. Durch die vielen Toilettengänge bin ich so eingeschränkt, wie ich es mit Stoma niemals war. Ich kann nicht mal mehr zum Bäcker gehen. Den Antworten im Stoma-Forum zufolge kann sich das noch wochen- oder monatelang hinziehen. Mein armer Hintern! In der nächsten Woche verschärfen wir das ganze ein wenig und beginnen mit der nächsten Chemotherapie. Dann werde ich an einer Art Brechdurchfall leiden. Na wenigstens ist mein Bad zu klein, als dass ich dabei Probleme haben dürfte. Die Toilettenschüssel ist gleich neben dem Waschbecken. Was bleibt mir da weiter übrig als meinen Lieblingssong anzustimmen? Always look on the bright side of life …

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