Nordlichter
Kopf
Dienstag, 14. März 2006
Greifswald reloaded
Per Taxi traf ich gegen 9.00 Uhr in Greifswald ein. Meine Tasche ließ ich wieder am Eingang zurück diesmal bei einem netten Mann. Er sagte, wenn ich darin nichts versteckt hätte, was tickt, könnte ich die Tasche gern vor seinen Schreibtisch stellen. Die Bombe hätte ich in meinem Rucksack, beruhigte ich ihn. Er meinte, das ginge in Ordnung. Dann spazierte ich zur Anmeldung. Die Frau, die mir meine Papiere ausstellte, wünschte mir Glück für die bevorstehende Operation. Als sie mir ein dünnes Armband mit meinem Namen und einem Barcode anlegte, stellte sie fest, ich müsste unbedingt wieder zunehmen. Dieses Armband ist neu, letztes Mal gab es so was noch nicht. Falls ich nicht nur, wie üblich, das Datum vergessen sollte, sondern auch nicht mehr wüsste, wie ich heiße, könnte ich einfach auf dem Armband nachsehen. Auf Arbeit passiert das schon mal, dass ich Identitätsprobleme habe und mich beim Server erkundigen muss, wer ich bin. Auf die Frage "who am i" antwortet er meist mein Name wäre root.

Auf dem Flur der Station saßen diesmal keine wartenden Patientinnen. Ich war die einzige. Die Schwester, der ich meine Papiere überreichte, freute sich, ein Neuzugang. Ich musste etwas warten und wurde dann gleich ins erste Zimmer am Gang geführt. Die Tür zierte das Bild einer dornigen roten Rose. Es war ein Dreimannzimmer. Nur eines der Betten in einem Alkoven, in dem eine junge Frau lag, war belegt. Die Schränke in diesem Zimmer waren auch größer als die in dem Viermannzimmer, in dem ich bei meinem ersten Aufenthalt untergebracht war. Es gab nur einen Fernseher. Damit auch die im Alkoven liegende Patientin darauf freie Sicht hatte, waren alle Betten mit dem Kopfteil zur Tür ausgerichtet. Damit konnte man im Bett liegend nicht erkennen, wer das Zimmer betrat.

Die junge Frau im Alkoven litt unter starkem Sodbrennen und war deshalb operiert worden. Sie sollte am nächsten Tag entlassen werden.

Die Schwester und eine Schwesternschülerin interviewten mich für die Aufnahmepapiere. Ich erhielt das bekannte Formular für die Narkose. Später kam der Doktor und händigte mir noch eins für die Rückverlegung aus. Mein Stoma wurde dort als Bauchafter bezeichnet. Diesen Begriff hatte ich noch nie gehört, Anus preator ja aber Bachafter? Eine Studentin und ein Student nahmen die Eingangsuntersuchung vor. Wobei sie untersuchte, und er sich aufs Aufschreiben und Reichen der Instrumente beschränkte. Meinen Eingeweidebruch beschrieb sie mit größer als ein Tennisball aber kleiner als ein Handball.

Zum Mittag bekam ich, wie erwartet, nichts zu essen. Stattdessen wurde ich mit zwei Leidensgefährten ins neue Klinikum gefahren. Diesmal war es beim Anästhesisten nicht so brechend voll wie beim ersten Mal. Die Ärztin erklärte mir, im Gegensatz zu den beiden großen Operationen, die ich schon hinter mir habe, bräuchte ich diesmal weder in die Intensiv- noch in die Wachstation. Ich würde nach der OP in den Aufwachraum gebracht werden und anschließend wieder in mein Zimmer auf Station kommen. Nach dem Operationsplan im Computer, war meine OP die zweite. Gegen 16.00 Uhr war ich aus dem Klinikum zurück.

Der Arzt kam, um mit mir die morgige Operation durchzusprechen. Der Doktor hatte mich bei der Visite in der Wachstation zum Lachen gebracht, indem er verschmitzt über die transportable Trennwand geschaut hatte. Wegen seiner Größe war ihm das problemlos möglich gewesen. Während er mein Geburtsdatum auf das Formular schrieb, behauptete er galant, ich sähe keinen Tag älter aus als 26. Ich fühlte mich gerade wie 86. Beim Gespräch kamen wir dann auch zu dem, was der Patient möglichst nicht hören möchte, zu den Risiken und Nebenwirkungen. Er sagte, wir sollten uns dabei nicht lange aufhalten, denn die Sache morgen würde gut ausgehen. Ich teilte seine Überzeugung.

Die Schwester gab mir 100 ml des Darmputzermittels Sorbitol und eine Liste. In die Liste sollte ich meine Trinkmenge vermerken. Das Mittel wirkte sofort, und mein Beutel lief voll. Ich erwog, vom Zimmer in die Toilettenbox umzuziehen. Ich war nur noch unterwegs um meinen Beutel zu leeren. Da ich seit dem Frühstück nichts gegessen hatte, war die gelbe Brühe dünn wie Wasser. Irgendwann kam ich aber doch zum Schlafen.

Am nächsten Tag war Chefarztvisite, der Professor konnte sich noch an mich erinnern. Er sagte mir, meine OP sei auf Nummer zwei gesetzt. Eine Schwesternschülerin fragte mich, ob ich Angst vor der Operation hätte. Ich verneinte und erklärte ihr, der Doktor hätte gesagt, die Sache würde gut verlaufen, und dann wird sie auch gut verlaufen. Ich rechnete damit, so zwischen 11.00 und 12.00 Uhr zur OP gefahren zu werden. Aber die Zeit verstrich, und nichts geschah. Meine Zimmergenossin war längst nach Hause gegangen. Ich kam mir vor wie ein Verdurstender in der Atacama. Seit gestern abend hatte ich nichts mehr getrunken. Ich begann begierig nach dem Wasser in der Blumenvase zu schielen. Dann endlich um 14.00 Uhr kamen die Schwestern und los gings. Sie steuerten den Fahrstuhl an und fuhren nach unten. Der Flur, in den sie mich schoben, war mit rosa Fliesen ausgekleidet, wie grässlich. Aber die Schwestern hatten sich verflogen, wir mussten wieder zurück. Der richtige Operationsaal befand sich auf der Etage, von der wir kamen. Ich musste vom Bett auf den OP-Tisch klettern und wurde mit warmen grünen Tüchern zugedeckt. Ich wurde in den Vorraum geschoben, während der Operationssaal gereinigt wurde. Dann wurde ich in diesen gebracht. Die Narkose wirkte schnell.

Als ich wieder zu mir kam, tastete ich als erstes nach der Stelle, wo mein Stoma gewesen war. Ich hatte immer noch das Gefühl, es säße an der alten Stelle. Die Schwester schob die Bettdecke zurück, damit ich mich auch mit meinen Augen überzeugen konnte, dass ich ein Exbeuteltier bin. Die Schwestern holten mich ab und brachten mich zurück ins alte Zimmer. Das teilte ich inzwischen mit zwei alten Damen. Die mir gegenüberliegende war noch recht mobil.

Die andere Frau wurde sonst von ihrem Ehemann zu Hause betreut. Sie war ein Pflegefall. Der Mann erzählte dem Doktor sie wären seit 51 Jahren verheiratet. Während er seiner Frau über die Wangen strich, sagte er ihr, sie würde ihm fehlen, und zu Hause sei es leer ohne sie. Die Ausscheidungen der alten Frau wurde von Kathetern aufgefangen. Sie trug Handschuhe, um sie zu hindern sich zu zerkratzten. Damit sie sich nicht wundlag, musste sie mehrfach von den Schwestern umgebettet werden, auch nachts. Jedesmal, wenn sie gepikt werden sollte, schrie sie. Sie ist wahrscheinlich während ihrer Erkrankung viel gepikt worden.

Ich wurde an den Tropf gebammelt. Die Schwester rechnete, wenn in mich etwas eingefüllt wird, muss natürlich auch etwas wieder rauskommen. Sie setzte mich auf den Schieber. Ich hasse das Ding, und natürlich bekam ich nur einen roten Rand und das Ding saugte sich an meinem Po fest. Sonst passierte trotz ausgiebigem Glucken nichts. Ich wollte zur Toilette gehen, aber die Schwestern verboten es mir. Sie hakten mich rechts und links unter und schleppten mich so aufs Klo. Dort passierte aber auch nichts, obwohl sie den Wasserhahn laufen ließen. Der rote Rand um meinen Hintern verstärkte sich. Ich wurde wieder ins Bett verfrachtet, und die Schwester setzte mir einen Katheter. Die Menge, die sie mir abzapfte rechtfertigte den Aufwand kam. Zum Schlafen kam ich in dieser Nacht auch noch.

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