Nordlichter
Kopf
Samstag, 12. Mai 2007
Nordlichter im Nordkurier
Gerade an dem Samstag, an dem ich im Krankenhaus lag, erschien in meiner Lokalzeitung unter dem Titel "Schreibend der Angst trotzen" ein Artikel über mich, dieses Weblog und den dazugehörigen Podcast. Ich war die Titelgeschichte im Wochenendkurier. In einem großen Foto mit einem Nordlicht über winterlicher Landschaft war ein kleines Foto mit mir vor dem Notebook sitzend eingefügt. Auf dem Bildschirm des Computers war mein altes Blog zu sehen. Ich kehrte dem Betrachter den Rücken zu.

Norkuriers Kurier am Wochenende vom 12./13 Mai 2007Es war eine meiner Bedingungen fürs Interview gewesen, dass im Bild mein Gesicht nicht zu sehen ist. Ich wollte meinen Namen nicht genannt und kein Link auf meine Webseiten gesetzt wissen. In Zeiten von Big Brother und DSDS sind das gewiss etwas seltsame Wünsche. Wenn man den Medien glauben will, scheint jeder nach 15-Minuten-Ruhm zu gieren. Nun ich nicht, auf diese Art von Aufmerksamkeit kann ich gut verzichten.

Das Interview fand schon im Winter statt. Irgendwann im Dezember im letzten Jahr fischte ich aus dem elektronischen Briefkasten eine Mail, die mit einem Zitat aus meinem eigenen Weblog begann.
Ich will auch nicht ins Fernsehen und möchte mein Konterfei in keiner Zeitung abgebildet sehen.
Der Absender war ein junger Redakteur des Nordkuriers, der, wie er behauptete, mein Blog schon ein Jahr lesen würde, heimlich natürlich und ohne zu kommentieren, wie die meisten meiner Leser oder Zuhörer. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch im Besitz meiner Domain "mariont.de" und hatte als Subdomains dieses Weblog, den Podcast, ein Foto-CMS, sowie Reisejournal und Rezeptblog in Deutsch und Englisch zu laufen. Der Redakteur hatte zwei Jahre zuvor über Neubrandenburger Blogger geschrieben und wollte nun mich als weitere Vertreterin dieser Spezies porträtieren.

Die Nordlichter im Nordkurier? Ich blieb skeptisch, denn ich hatte einige unfreundliche Artikel über Kommentare und die Online-Ausgabe dieser Zeitung geschrieben. Dabei hatte ich weder rumgeprollt, noch war ich in wüste Beschimpfungen verfallen. Es ist halt einfach nicht meine Art. Die Lizenz zur Journalistenbeleidigung haben andere. Meine Waffe ist nicht der Vorschlaghammer, der würde mir höchstens auf die Füße fallen. Ich greife lieber zur Gänsefeder. Trotzdem, Medienschelte ist Medienschelte. Ich fragte den Redakteur, ob er wirklich alle meine Einträge gelesen hätte. Er hatte.

Meine Kritik stünde einem Artikel nicht im Wege, und meine Bedingung, Anonymität, akzeptierte er. Wir trafen uns zweimal zum Gespräch, freilich nicht bei mir zu Hause. Gewöhnlich lade ich mir keine fremden Männer in die Wohnung ein. Als Treffpunkt schien mir deshalb Demmins Stadtcafé besser geeignet, wo sich am Vormittag außer uns beiden sogar einige andere Gäste eingefunden hatten. Das Foto von mir ist auch dort entstanden. Ich saß mit dem Notebook etwas bohèmehaft am Cafétisch und trank einen Tee. Wenn der Journalist mir unsympathisch gewesen wäre, oder wir nicht miteinander hätten reden können, wäre dieser Artikel nie erschienen. So aber berichtete ich, wie ich zum Bloggen kam, und welche Möglichkeiten das Internet gerade für mich als chronisch Kranke bietet. Diesen Nordkurier-Artikel gibt es auch im Web, jedoch nur gegen Bezahlung wie alle andern Artikel auch.

In der Chefetage des Nordkuriers ist man noch in der Medienwelt des letzten Jahrhunderts gefangen. Es gibt einen Sender, den Journalisten und einen Empfänger, den Leser. Ich Tarzan, du Jane. Die Vorzüge des Webs insbesondere von Blogs und Podcasts liegen im Dialog mit den Lesern bzw. Hörern. Da sehe ich beim Nordkurier-Online leider völlig schwarz bzw. nur das Eurozeichen. Dort versagt man dem Leser jede Chance zum Interagieren. Es gibt keinen Meinungsaustausch mit den Lesern.

In der Chefetage des Nordkuriers beweist man damit nur eindrucksvoll, wir haben das Internet nicht verstanden. Das gibt mir die einmalige Gelegenheit meinen alten Artikel vom 30. April 2006 zu exhumieren und hier zu verwursten: Der Nordkurier privatisiert das Internet, natürlich nicht das ganze sondern nur sein Onlineangebot. Seit Anfang April 2006 kann man den Nordkurier als PDF-Datei abonnieren. Die HTML-Artikel sind damit, bis auf ein paar auf der Startseite, auch nur noch Abonnenten der Onlineausgabe zugänglich. Seitdem schlugen die Emotionen im sonst eher gemütlich vor sich hindümpelnden als Gästebuch getarnten Forum hoch.

Der Grundtenor lautete tschüss, hier surfen wir nicht wieder vorbei. Der Nordkurier-Online wurde oft von Leuten gelesen, die jetzt in der Ferne arbeiten oder leben und den Kontakt zur alten Heimat nicht verlieren wollten. Sie sind nicht bereit monatlich die 15,90 € für die PDF-Ausgabe und die HTML-Artikel zu zahlen. Als Abonnent des Papierformates müsste ich zusätzlich jeden Monat 2,50 € löhnen. Ich konnte mich knapp beherrschen. Was zum Henker sollte ich mit den PDF-Dateien der letzten 7 Ausgaben? Nützlich wäre für mich allein die Recherchemöglichkeit im Gesamtarchiv und dafür würden auch die HTML-Artikel ausreichen. Ich bräuchte nur den Lokalteil Demmin. Die große weite Welt finde ich auch woanders.

Dabei war es nur konsequent von der Redaktion für die Online-Artikel Geld zu verlangen. Die Ausrichtung meiner Lokalzeitung Nordkurier ist schließlich eindeutig neoliberal. Chefredakteur Dr. Uzulis liest sich in seinen Kommentaren meist wie der Pressesprecher der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die ja bekanntlich eine PR-Abteilung des Verbandes der Arbeitgeber in der Metallindustrie ist mit einem Jahresbudget von rund neun Millionen Euro. Davon träumt so mancher. Hier wie dort die immer gleichen Parolen vom schlanken Staat, mehr Eigenverantwortung, Privatisierung als Allheilmittel, dem Versprechen der Abbau des Sozialstaates, niedrigere Löhne und längere Arbeitszeiten würden zu mehr Beschäftigung führen und dergleichen neoliberaler Märchen mehr. Beweisen mussten weder Dr. Uzulis noch die INSM je ihre Thesen. Doch leider, auch nach jahrelanger Propagandaarbeit höhlte steter Tropfen nicht jeden Stein. Ich fand es immer wieder amüsant, wenn die Ansichten des Chefredakteurs mit den Kommentaren in den Leserbriefen kollidierten. Die gelebte Wirklichkeit in Meck-Pomm ist eine andere als Dr. Uzulis und die INSM gerne hätten. Erinnert doch ein bisschen an vergangene Zeiten mit Aktueller Kamera und realexistierendem Sozialismus.

Um zu Nordkurier-Online zurückzukommen, für Ihr Angebot werden Sie wenig Käufer finden Herr Chefredakteur! Schon die Startseite ist für mich die Homepage des Grauens. Es flimmert und zappelt nur so von Werbeeinsprengsel. Besonders liebe ich Animationen, die sich quer über die Seite legen und erst mit einem Klick entfernt werden müssen. Ich hatte die Homepage bei Webmasterplan checken lassen, sie war etwa 80,5 KB groß. Hier in dieser Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit und geringen Einkommen werden die meisten Surfer noch immer mit analogem Modem unterwegs sein. Mit einem 28.8-kps-Modem dauert das Laden der Homepage 23 Sekunden, mit ISDN immerhin noch über 10 Sekunden. Webmasterplan vergab für diese Zumutung die Schulnote 5. Als erste Maßnahme würde ich nicht den Staat verschlanken sondern die HTML-Datei. Die CSS-Formatierungen und die Javascriptanweisungen gehören in separate Dateien. Dann flögen alle überflüssigen Grafiken raus. Werben kann man ohne nervige Zappelbilder. Google macht es vor. Mit Textwerbung würde die Homepage auch weniger einem orientalischen Basar gleichen. Optisch müsste wir das Ganze natürlich ebenfalls aufpeppen. Der Webauftritt einer Regionalzeitung sollte im positiven unverwechselbar sein. Im Moment ist er nur grauenvoll unverwechselbar.

Da den Suchmaschinen nicht erlaubt ist, den Inhalt der Homepage des Nordkuriers zu speichern, kann er bei Sucheingaben nicht gefunden werden. Wen Google nicht findet, der existiert nicht im Web. Diese Erkenntnis scheint sich in der Redaktion des Nordkuriers noch nicht herumgesprochen zu haben. Ich vermute mal ganz frech, es gibt nur noch einen Bereich mit konstant hohen Besucherzahlen, den Chatroom. Gibt es für mich einen guten Grund auf den Nordkurier online zu hopsen? Keinen mehr, an die HTML-Dateien komme ich ohne Euronen rüberzuschieben nicht mehr heran und das als Abonnent, unfassbar. Um den Online-Auftritt mit Leben zu erfüllen, reicht es nach meiner Auffassung nicht, nur den Text der Zeitungsartikel digital zu übernehmen. Ich bräuchte schon einen Mehrwert gegenüber der papiernen Ausgabe. Aber wer so versessen darauf ist, seine Inhalte zu vermarkten, der bietet natürlich weder ein Archiv noch RSS-Feeds an, ganz zu schweigen von Interviews als Podcasts. Wie wäre es mit einer Kolumne, die nur in der Online-Ausgabe erscheint, oder mit einem neuen Forum, nachdem das alte abgeschaltet wurde? Zu diskutieren hätten wir doch genug, z.B. über die neue Kreisgebietsreform und ihre Folgen.

Die Metadaten in der HTML-Datei versprechen übrigens der "Nordkurier ist die führende Tageszeitung im Osten Mecklenburg-Vorpommerns". Es darf gelacht werden, es gibt hier keine andere Tagesgazette. Ich wäre in dieser Gegend auch führender Blogger, wenn denn außer mir niemand bloggen würde. Nachdem das Gästebuch/Forum monatelang nicht erreichbar war, wurde der Link gleich ganz entfernt. Das alles sind verschenkte Möglichkeiten, um mit den Lesern in Kontakt zu treten. Es ist schade und sehr traurig. Was würde der Redaktion als Lohn für den Dialog winken? Das Vertrauen ihrer Leser vielleicht?

Die vorpommersche Provinz grüßt den Datzeberg.

Podcast11,1 MB

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