Nordlichter
Kopf
Montag, 11. Juni 2007
Allein zu Haus
Die letzte Visite am Sonntag hatte ausgerechnet die Ärztin, die sich durch besonderes Zartgefühl mir gegenüber ausgezeichnet hatte. Ich will wegen meiner Erkrankung nicht bedauert werden. Aber ein Mindestmaß an Einfühlungsvermögen und Respekt kann ich wohl erwarten. Mir so nebenbei zu sagen ich hätte Brustkrebs, mich dann anschließend ½ Stunde allein auf dem Flur warten zu lassen, und das bei meiner Vorgeschichte, zähle ich nicht dazu. Manche Mediziner sollte man lieber nicht auf Patienten loslassen. Als Insektenkundler wären sie weit besser eingesetzt.

Frau Doktor trug wieder ein bauchfreies Shirt unter dem weißen Kittel und entsprechend cool fiel die Visite aus. In der Krebskonferenz in einer Woche würde die Therapie für mich festgelegt werden. Ich sollte nach meiner Entlassung meinen Frauenarzt aufsuchen und mich von ihm unter anderem zur Knochenszintigraphie nach Greifswald überweisen lassen. Es war mir unverständlich, wieso das nicht in der Zeit, in der ich im Krankenhaus lag, erledigt werden konnte. Die schnarchende alte Dame war am Entlassungstag zur Nuklearmedizin gefahren worden. Für mich bedeutete nochmals von Demmin nach Greifswald gondeln zu müssen nur neuerlichen Stress und natürlich auch extra Kosten. Außerdem in der folgenden Woche war ein Feiertag, wohlgemerkt. Für Frau Doktor war das kein Grund mich auch nur einen Tag länger im Krankenhaus zu behalten. Meine persönliche Situation interessierte nicht die Bohne. Diese Ärztin und ich werden nie ein dynamisches Duo bilden.

Ich wurde am Sonntag nach dem Mittag entlassen. Dieses Mal konnte mich niemand von meiner Berliner Großfamilie abholen, ich musste das Taxi bestellen. Mein Kühlschrank war leer, aber ich brauchte trotzdem nicht zum Tante-Emma-Laden pilgern. Meine Mitpatientinnen, von denen ich mich herzlich verabschiedet hatte, hatten für mich Lebensmittel gesammelt. Sie befürchteten wohl, ich würde bis Montag verhungern, und ließen keine Einwände gelten. Ich musste mir Brötchen, Fischkonserven und Käse einstecken. Bis zum Montagmorgen langte das schon, da war ich dann mit Einkaufen beschäftigt. Meine Arbeitskollegen holten für mich Getränke. Ich kann nach der Operation ja wieder nicht schwer tragen, auch nicht im Rucksack.

Mein Frauenarzt wickelte mich am nächsten Tag aus dem Brustverband. Er meinte, es würde gut aussehen. Die Brustwarzen wären auf gleicher Höhe. Ich durfte für alle möglichen Tests eine Menge Blut spenden. Den Wickel erhielt ich nicht zurück, sondern sollte mir einen Sport-BH zulegen. Mit einem ist es natürlich nicht getan, wenn man das Ding Tag und Nacht tragen soll. Irgendwann müsste ich ihn ja auch mal waschen. Ob ausstauben allein für die Hygiene reicht, ist zu bezweifeln. Gar nicht so einfach in Demmin einen passenden Sport-BH zu erwerben, wenn man ihn benötigt.

Am Montag sollte es laut Werbeprospekte zufällig welche geben. So machte ich mich frohen Mutes auf den Weg in die für mich per pedes erreichbaren Demminer Supermärkte. Sport-BHs gab es nur in den Prospekten sonst nirgendwo. Gar nicht super, denn ich musste nun ins Sportgeschäft. Der BH, den ich dort erstand, war meiner schmalen Erwerbsminderungsrente keineswegs angemessen. Gewöhnlich hätte ich für den Preis mehrere Exemplare gekauft. Dass das gute Stück wie angegossen saß, tröstete mich nur wenig. Die ältere Mitpatientin in Greifswald musste für ihr Stützgerüst 220 Euronen bezahlen. Der war nur einfach weiß und keineswegs aus Gold. Wobei noch nicht raus war, ob die Krankenkasse die Kosten des BHs übernehmen wird. Da bin ich dann doch etwas besser weggekommen. Dank meiner Freundinnen und meiner Kusine habe ich inzwischen mehrere Stücke. Vom Material und Tragegefühl gleichauf am besten der Marken-BH aus dem Sportgeschäft und das herabgesetzte Teil vom Discounter. Der eine kostete 50 Euronen der andere 5. Vermutlich hat eine asiatische Arbeiterin beide Stücke für den gleichen mageren Lohn gefertigt. Ich muss die Sport-BHs zwei Monate tragen. Nachts wähle ich die Exemplare, die nicht ganz so eng sitzen.

Seit ich aus dem Krankenhaus zurück bin, gehe ich nicht nur mit BH sondern auch mit einem Sofakissen ins Bett. Natürlich kann ich mir was besseres vorstellen, als morgens ein Kissen im Arm zu halten. Neben einer Chemopumpe zu erwachen ist allerdings weitaus weniger amüsant. Mein rechter Arm schmerzt immer noch. Solange das so ist, bleibt das Sofakissen mein Bettgenosse. Vielleicht sollte ich ein Gesicht draufmalen.

Wie erwartet gelang es der Schwester beim Frauenarzt nicht, einen Termin fürs Szintigramm vor der Krebskonferenz zu ergattern. Wenn Donnerstag Feiertag ist, wird Freitag nicht geröntgt, weder in Greifswald noch in Stralsund oder Neubrandenburg. Weiter weg wollte sie mich dann doch nicht schicken. Ich fuhr um die Mittagszeit per Taxi zur Praxis nach Greifswald. Dort spritzte mir die Schwester ein radioaktives Kontrastmittel in den Arm, und dann hieß es drei Stunden warten, bis sich die Substanz in den Knochen angereichert hatte. Um draußen herumzumarschieren lag die Praxis zu weit abgelegen. Also blieb ich dort. Im Flur, der den Warteraum bildete, lagen genug Zeitschriften aus, sogar PC-Magazine. Der Strahlenmediziner hatte vermutlich einen Mac. Die Aufnahme mit der Gammakamera dauerte dann keine 30 Minuten. Dazu musste ich mich auf den Rücken legen. Meine Füße waren mit einem Band aneinander gefesselt. Ich sollte mich nicht bewegen. Aber immer dann krabbelt es an der Nase, am Bauch juckt es, und im kleinen Zeh beginnt ein Krampf. Die Kamera schwebte millimeterweise über mich hinweg. Mittlerweile war es nach 17.00 Uhr. Der Taxifahrer kam gerade rechtzeitig, bevor die Schwester um 18.00 Uhr die Praxis abschloss.

Das nächste Mal schickte mich mein Frauenarzt nach Greifswald zur Strahlenmedizin. Vorher hatte er mir freudestrahlend verkündet, der Brustkrebs hätte keine Metastasen gebildet. Ich bräuchte also nur die Strahlentherapie hinter mich zu bringen, keine erneute Operation und keine Chemo. Aber der Bestrahlung wird sich eine Antihormontherapie anschließen. Ohne Nebenwirkungen ist die freilich nicht. Die Zahl der Nachsorgeuntersuchungen wird auch steigen. Meine Ärzte werden sich da wohl einigen müssen.

Die Medizinerin im Strahlenzentrum, die das Vorgespräch mit mir führte, legte schon gleichmal den Termin für die Nachsorge von Darm- und Brustkrebs zusammen. Ich werde 33 Bestrahlungen erhalten, genausoviele wie damals nach der Darm-OP. Es wird nur die rechte Seite bestrahlt werden und nicht der gesamte Brustkorb. Wir plauschten noch ein wenig über mein rückwärtiges Problem. Sie sagte mir, an meiner Stelle würde sie sich dazu noch eine weitere Meinung einholen. Die Ärztin erzählte mir von einer Freundin, die ein Colostoma hätte und damit gut zurechtkäme. Bis die Bestrahlung beginnt, bleibt mir jetzt noch eine Woche Zeit. Die Operationsnarbe war der Ärztin noch zu frisch. Die sollte erst gut abheilen.

Die Schwester hatte mich, wie schon bei unserer ersten Begegnung vor zwei Jahren, aufgemuntert. Ihre Mutter berichtete sie mir, hätte auch Doppelkrebs gehabt, erst Brust- und später Darmkrebs. Trotzdem wäre sie 83 Jahre alt geworden. Ich sollte das mal wohlwollend in Erwägung ziehen.

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