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Sonntag, 6. Mai 2007
Neue Ängste
Sonntag, 6. Mai 2007, Kategorie: 'Krankengeschichten'
Letzten Sonntag hatte ich den seltenen Luxus nicht allein frühstücken zu müssen. Meine Tante und mein Onkel, die auf Usedom Urlaub machen wollten, tauchten hier auf mit frischen Brötchen im Gepäck. Sie waren schon kurz nach sechs Uhr von Berlin losgefahren. Am Sonntagmorgen hatten sie um diese Zeit die Autobahn fast für sich allein.
Meine Tante wollte wissen, ob ich mich schon groß sorgen würde, wegen meines OP-Termins nächste Woche in Greifswald. Ich verneinte und erklärte, darüber noch keinen Gedanken zu verlieren. Das würde ich erst am drauffolgenden Wochenende tun, also jetzt. Bis dahin ließe sich der Schrecken hervorragend verdrängen. Ohne diese Möglichkeit würde ich doch durchdrehen. Es wäre für mich unerträglich andauernd Todesfurcht zu haben. Ich habe festgestellt, dass sich mit der Zeit auch die Angst abnutzt wie ein alter Socken. Es ist gut, dass ich sie ab und zu beiseite schieben kann.
Nach den Verwandten erschien mein Bruder, fuhr mich nach Berlin und lud mich bei einer anderen Tante und einem anderen Onkel in Köpenick ab. Sie hatten sich bereit erklärt, mich am Montag zum Proktologen zu fahren. Aber sehr weit kamen wir an diesem Tag nicht. Erstmal standen wir über eine Stunde hoffnungslos im Stau zwischen anderen Autos eingekeilt. Die Dame vom Regionalsender unterrichtete ihre Hörer über fünfzehn Minuten Wartezeit an dieser Stelle. Im Radio laufen die Uhren anders. Ich musste mein Handy zücken und die Verspätung melden. Das Krankenhaus, in dem ich den Termin zur Sprechstunde hatte, lag im Westteil Berlins. Die üblichen Einkaufsmärkte gab es hier nicht sondern eine Schlossstraße. Das klang ein bisschen nach Monopoly. Kein Wunder Steglitz-Zehlendorf ist nach der Wikipedia die teuerste Wohngegend Berlins mit entsprechender Sozialstruktur und wohl auch eine der schönsten. Vor allem Villen und Bäume prägen ihren parkähnlichen Charakter.
Das Krankenhaus befand sich unweit einer U-Bahnstation. Ich war spät dran und erschien eine Stunde nach dem vereinbarten Termin. Trotzdem erhielt ich bei der Patientenannahme das übliche Papier zum Ausfüllen. Die erste Frage bei der Anmeldung lautete, ob ich Privatpatientin wäre oder eine Extraversicherung mit Chefarztbehandlung hätte. Wäre die Lösung für mein Problem dann ein anderes gewesen? Ich bin ganz normal gesetzlich krankenversichert ohne jegliche Extravaganzen.
Der weißhaarige ältere Herr, der mich empfing, war in diesem seinem Fachgebiet seit vierzig Jahren tätig, wie er berichtete. Auch er begutachtete meinen Anus. Im Gegensatz zu Neubrandenburg, wo ich dazu seitlich auf einem Tisch liegen musste, saß ich hier auf einem Stuhl wie beim Frauenarzt. Mein Hintern wurde hochgefahren. Sonst war die Untersuchung genauso unangenehm wie immer. Da unten wäre alles sehr eng und vernarbt, erfuhr ich. Hilfe sei in meinem Fall weder medikamentös noch anderwärtig möglich. Wie sehr ich unter meinem rückseitigen Flammenwerfer leide, blieb dem alten Arzt nicht verborgen. Die beste Lösung dem Pavianhintern und den Durchfällen zu entgehen wäre für mich ein neues dann endständiges Stoma.
Buh, auch das noch! Ich muss mich nicht gleich entscheiden. Im Moment habe ich einfach zuviele negative Nachrichten zu verkraften. Ich möchte nur wissen, warum der Chirurg in Greifswald mir nicht die Wahrheit sagte. Bevor er meinen Darm zurückverlegte, hatte ich ihn gefragt, ob mir ein rotentzündeter Po mit vielen Toilettengängen drohen würden. Die Antwort war nein gewesen. Den blutigen Hintern hat auch nicht er, sondern ich habe den jetzt.
Das beste Gespräch an jenem Wochenende hatte ich ganz unerwartet mit dem Mann meiner Kusine. Er sagte mir, die neuerliche Krebserkrankung im Sinn, ich solle nicht glauben, dies wäre jetzt das Ende. Ist es nicht? Als Beispiel schilderte er mir das Schicksal eines Arbeitskollegen. Der litt an schwerem Diabetes, bekam Krebs und hatte zu allem Übel zwei schlimme Unfälle. Das wäre nun fünfzehn Jahre her. Der Mann sei inzwischen verheiratet, es ginge ihm gut, und man würde ihm seine Erkrankung nicht ansehen. Allein zu sein, wäre ungesund für mich. Mein Schwiegerkusin riet mir, unter die Leute zu gehen. Mit diesem Hintern ist das ein recht heikles Unterfangen. Der Mann meiner Kusine sagte mir, oft säße er hier auf der Terrasse und sei glücklich, wenn die Vögel zwitscherten. Die meisten Leute könnten sich an kleinen Dingen gar nicht mehr erfreuen.
Ich kann das noch. Den Rest des Maifeiertages verbrachte ich im Garten meiner Eltern. Ich saß mit Jutta plauschend im Liegestuhl, ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen und sog tief den betörenden Duft ein, der von den Fliederbüschen zu uns herüberschwappte. Über den Rasen hüpfte, die Flügel aufgeregt um sich schlagend, ein Amselmännchen. "Komm mal her," sagte meine Stiefmutter zu dem Winzling im schwarzen Anzug. Der wippte mit dem Schwänzchen und kam doch tatsächlich über den Rasen zu uns herübergehoppelt. Auf der Terasse vor unseren Liegestühlen stehend reckte er seinen leuchtend gelben Schnabel in die Höhe. Von dem vorgetragenen Gezwitscher verstand ich leider kein Wort. Aber es klang sehr laut und sehr bedeutend. An diesem Nachmittag im Garten vergaß ich meinen übergroßen Kummer.
Jetzt bin ich wieder zu Hause, allein mit mir und meinen Ängsten. Neben meinem Notebook steht eine Vase mit weißen und dunkelvioletten Flieder aus dem elterlichen Garten, den Jutta für mich geflückt hat. Ich liebe Flieder über alle Maßen. Obwohl dieser hier schon langsam welkt, duftet er noch immer.
So, meine Lieben, dies ist erst mein zweiter Artikel im neuen Weblog, und schon muss ich wieder aufhören. Wie lange ich in der Greifswalder Frauenklinik bleiben muss, weiß ich noch nicht genau. Drückt mir die Daumen!
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Meine Tante wollte wissen, ob ich mich schon groß sorgen würde, wegen meines OP-Termins nächste Woche in Greifswald. Ich verneinte und erklärte, darüber noch keinen Gedanken zu verlieren. Das würde ich erst am drauffolgenden Wochenende tun, also jetzt. Bis dahin ließe sich der Schrecken hervorragend verdrängen. Ohne diese Möglichkeit würde ich doch durchdrehen. Es wäre für mich unerträglich andauernd Todesfurcht zu haben. Ich habe festgestellt, dass sich mit der Zeit auch die Angst abnutzt wie ein alter Socken. Es ist gut, dass ich sie ab und zu beiseite schieben kann.
Nach den Verwandten erschien mein Bruder, fuhr mich nach Berlin und lud mich bei einer anderen Tante und einem anderen Onkel in Köpenick ab. Sie hatten sich bereit erklärt, mich am Montag zum Proktologen zu fahren. Aber sehr weit kamen wir an diesem Tag nicht. Erstmal standen wir über eine Stunde hoffnungslos im Stau zwischen anderen Autos eingekeilt. Die Dame vom Regionalsender unterrichtete ihre Hörer über fünfzehn Minuten Wartezeit an dieser Stelle. Im Radio laufen die Uhren anders. Ich musste mein Handy zücken und die Verspätung melden. Das Krankenhaus, in dem ich den Termin zur Sprechstunde hatte, lag im Westteil Berlins. Die üblichen Einkaufsmärkte gab es hier nicht sondern eine Schlossstraße. Das klang ein bisschen nach Monopoly. Kein Wunder Steglitz-Zehlendorf ist nach der Wikipedia die teuerste Wohngegend Berlins mit entsprechender Sozialstruktur und wohl auch eine der schönsten. Vor allem Villen und Bäume prägen ihren parkähnlichen Charakter.
Das Krankenhaus befand sich unweit einer U-Bahnstation. Ich war spät dran und erschien eine Stunde nach dem vereinbarten Termin. Trotzdem erhielt ich bei der Patientenannahme das übliche Papier zum Ausfüllen. Die erste Frage bei der Anmeldung lautete, ob ich Privatpatientin wäre oder eine Extraversicherung mit Chefarztbehandlung hätte. Wäre die Lösung für mein Problem dann ein anderes gewesen? Ich bin ganz normal gesetzlich krankenversichert ohne jegliche Extravaganzen.
Der weißhaarige ältere Herr, der mich empfing, war in diesem seinem Fachgebiet seit vierzig Jahren tätig, wie er berichtete. Auch er begutachtete meinen Anus. Im Gegensatz zu Neubrandenburg, wo ich dazu seitlich auf einem Tisch liegen musste, saß ich hier auf einem Stuhl wie beim Frauenarzt. Mein Hintern wurde hochgefahren. Sonst war die Untersuchung genauso unangenehm wie immer. Da unten wäre alles sehr eng und vernarbt, erfuhr ich. Hilfe sei in meinem Fall weder medikamentös noch anderwärtig möglich. Wie sehr ich unter meinem rückseitigen Flammenwerfer leide, blieb dem alten Arzt nicht verborgen. Die beste Lösung dem Pavianhintern und den Durchfällen zu entgehen wäre für mich ein neues dann endständiges Stoma.
Buh, auch das noch! Ich muss mich nicht gleich entscheiden. Im Moment habe ich einfach zuviele negative Nachrichten zu verkraften. Ich möchte nur wissen, warum der Chirurg in Greifswald mir nicht die Wahrheit sagte. Bevor er meinen Darm zurückverlegte, hatte ich ihn gefragt, ob mir ein rotentzündeter Po mit vielen Toilettengängen drohen würden. Die Antwort war nein gewesen. Den blutigen Hintern hat auch nicht er, sondern ich habe den jetzt.
Das beste Gespräch an jenem Wochenende hatte ich ganz unerwartet mit dem Mann meiner Kusine. Er sagte mir, die neuerliche Krebserkrankung im Sinn, ich solle nicht glauben, dies wäre jetzt das Ende. Ist es nicht? Als Beispiel schilderte er mir das Schicksal eines Arbeitskollegen. Der litt an schwerem Diabetes, bekam Krebs und hatte zu allem Übel zwei schlimme Unfälle. Das wäre nun fünfzehn Jahre her. Der Mann sei inzwischen verheiratet, es ginge ihm gut, und man würde ihm seine Erkrankung nicht ansehen. Allein zu sein, wäre ungesund für mich. Mein Schwiegerkusin riet mir, unter die Leute zu gehen. Mit diesem Hintern ist das ein recht heikles Unterfangen. Der Mann meiner Kusine sagte mir, oft säße er hier auf der Terrasse und sei glücklich, wenn die Vögel zwitscherten. Die meisten Leute könnten sich an kleinen Dingen gar nicht mehr erfreuen.
Ich kann das noch. Den Rest des Maifeiertages verbrachte ich im Garten meiner Eltern. Ich saß mit Jutta plauschend im Liegestuhl, ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen und sog tief den betörenden Duft ein, der von den Fliederbüschen zu uns herüberschwappte. Über den Rasen hüpfte, die Flügel aufgeregt um sich schlagend, ein Amselmännchen. "Komm mal her," sagte meine Stiefmutter zu dem Winzling im schwarzen Anzug. Der wippte mit dem Schwänzchen und kam doch tatsächlich über den Rasen zu uns herübergehoppelt. Auf der Terasse vor unseren Liegestühlen stehend reckte er seinen leuchtend gelben Schnabel in die Höhe. Von dem vorgetragenen Gezwitscher verstand ich leider kein Wort. Aber es klang sehr laut und sehr bedeutend. An diesem Nachmittag im Garten vergaß ich meinen übergroßen Kummer.
Jetzt bin ich wieder zu Hause, allein mit mir und meinen Ängsten. Neben meinem Notebook steht eine Vase mit weißen und dunkelvioletten Flieder aus dem elterlichen Garten, den Jutta für mich geflückt hat. Ich liebe Flieder über alle Maßen. Obwohl dieser hier schon langsam welkt, duftet er noch immer.
So, meine Lieben, dies ist erst mein zweiter Artikel im neuen Weblog, und schon muss ich wieder aufhören. Wie lange ich in der Greifswalder Frauenklinik bleiben muss, weiß ich noch nicht genau. Drückt mir die Daumen!
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