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Sonntag, 17. Juli 2005
Unten
Sonntag, 17. Juli 2005, Kategorie: 'Krankengeschichten'
Während der Tage und Nächte in der Intensivstation kam ich mir vor wie in einer riesigen Zeitschleife gefangen. Der Tag begann immer gleich, die Nachtschwester rieb mir den Rücken mit einer erfrischenden Tinktur ein. Dann kam die Reinemachefrau, sagte fröhlich "Guten Morgen, der neue Tag ist da." Bevor sie je nach Wetterlage die Jalousien auf- oder zumachte, meinen Blumen frisches Wasser gab, das Zimmer säuberte und nebenbei mit mir scherzte.
Ich war die ganze Zeit im wahrsten Sinne des Wortes ans Bett gefesselt. Ohne die Schwestern konnte ich mich nicht von der Kabelei befreien. Das Bett allein zu verlassen war unmöglich. Rechts hing eine ganze Batterie von Flaschen, links der Überwachungsmonitor. Ich war mit allem verkabelt und fühlte mich mehr wie einer meiner Server. Wenn ich mit den Augen klimperte oder hustete, wusste die Schwester Bescheid. Um meine Ausscheidungen musste ich mich nicht kümmern. Ich hatte einen Blasenkatheter. Der Urin wurde seitlich am Bett in einem Behälter gesammelt. Dort, wo der Chirurg am Vorabend der Operation einen grünen Kuller gemalt hatte, prangte nun ein großer Beutel. Der fing das auf, was aus meinem Dünndarm kam. Der Rest, der mir von meinem Dickdarm verblieben war, ist stillgelegt. Die Schwester entleerte sowohl den Behälter als auch den Beutel.
In der Intensivstation befinden sich neun Betten, eine Schwester betreut drei Patienten. Nach der Operation wurde ich in eines der Zimmer in der Mitte platziert. Das erste, das ich wahrnahm, war das freundliche Gesicht einer Schwester, die sich liebevoll um mich kümmerte. Dann schwebte, wie bei "Alice im Wunderland", der Kopf einer anderen Schwester herein, die mir ausrichtete, mein Vater und mein Bruder würden sich freuen, dass die Operation so gut verlaufen wäre. An Schlafen war nicht zu denken. Es waren zuviele fremde Geräusche. Ich nickte immer nur für einige Minuten ein.
Am zweiten Tag wurde ein Notfall eingeliefert, und ich wurde chaotisch in ein anderes Zimmer verlegt. Die Schwestern entfernten in großer Eile die Flaschen und warfen sie auf mein Bett. Eine landete auf meinem Bauch. Aua! Das neue Zimmer erwies sich als Glücksfall. Es lag am Ende des Ganges, war doppelt so groß wie das alte, und es hatte ein großes Fenster nach draußen. Ich sah ein Gebäude in der Pompestraße, die Hauptstraße und die Grünanlage vor dem Kreiskrankenhaus. In diese Welt wollte ich gerne zurück.
Aber am Anfang konnte ich nichts alleine. Die Schwester wusch mich. Später, als es mir besser ging, setzten sie mich entweder im Zimmer vor eine Waschschüssel oder schoben mich im Patientenstuhl ins Bad vors Waschbecken. Natürlich brauchte ich unendlich lange, aber Zeit hatte ich ja mehr als genug. Für die Schwestern war es eine Entlastung und für mich ein Stückchen Selbstständigkeit. Im Krankenhaus bekommt man Duschgel, aber ich benutzte mein eigenes. Ich hatte mir in der Drogerie Duschgel, Parfümdeo und Parfüm in zartem Altrosa mit einem Schwan als Logo gekauft. Als ich von einer Schwester untergehakt den Gang vom Bad zu meinem Zimmer an den anderen Schwestern vorbeimarschierte, riefen sie im Chor, ich solle noch mal zurückkommen. Es würde so gut riechen.
Immer, wenn die Schwestern etwas vorschlugen wie hinsetzen, aufstehen oder laufen, sagte ich "Wir versuchen das." Am Anfang hüpfte die Kommode neben meinem Bett auf und ab, und keiner hielt das Zimmer an. Beim ersten Aufbruch zum Wandern über den Gang wurde mir nach dem zweiten Schritt schwarz vor Augen. Ich musste wieder zurück ins Bett. Aber wir versuchten es einfach immer wieder. Irgendwann hüpfte die Kommode nicht mehr, und ich ging, unterstützt von einer Schwester, den Gang entlang zum Bad. Ich bekam von den Schwestern jede Hilfe, die ich brauchte, und ohne sie hätte ich die Sache wohl nicht so gut überstanden.
Denn einen Krankenhausrekord halte ich bestimmt. Ich musste mich mehrfach übergeben. Aber nicht die Anzahl der Brechanfälle war rekordverdächtig, sondern die ausgeschiedene Menge pro Würgeattacke. Die Schwester sagte, ich würde mehr brechen als eine Schwangere. Der Oberarzt sprach von schwallartigem Erbrechen. Ich glaube, die Schwestern schlossen schon Wetten ab, ob ich mich wieder übergeben hätte. Bezeichnenderweise hatte ich auch so einen Anfall, als mich mein Vati und mein Bruder besuchten. Die Pappschalen reichten nicht. Meine Lieben wurden aus dem Zimmer geführt. Das Bett wurde neu bezogen, und ich erhielt ein neues Nachthemd. Bis das Bett fertig war, musste ich stehen. Der Zivi hielt mich fest und bot mir an, falls ich nicht mehr stehen könne, sollte ich auf ihn fallen. Ich hielt durch, ohne das nette Angebot zu nutzen. Meine Leute durften wieder ins Zimmer. Das war aber nicht der letzte Brechanfall am Tag. Der Oberarzt drohte mir, noch einmal und er setzt mir am nächsten Tag eine Magensonde.
Mein Magen schleuderte ungeachtet dieser Warnung weiter einen schwarzgrünen Brei. Gut, anstelle von meinem Magen hätte ich dieses Zeug auch nicht weitergereicht. Der Oberarzt machte am nächsten Tag seine Drohung war und setzte mir durchs rechte Nasenloch die Magensonde. Nun hatte ich einen Riesenpopel an der Nase hängen und ein störendes etwas im Rachen. Bei der Visite wurde festgelegt, es mit mir und meinem Magen noch mal im Guten zu versuchen. Die drohende Endlösung wäre, wie der Chef mir sagte, noch mal aufmachen. Sie vermuteten, dass eventuell irgendetwas abgeknickt sein könnte. Alles wieder auf Anfang war keine gute Aussicht.
Die Magensonde endete in einem Beutel in Kopfhöhe, das sollte als Überlaufventil dienen. Aber die Sache war schlecht eingestellt. Es würgte mich, bevor der Brei in den Beutel lief. Mit Hilfe einer Schwester konnte ich den Arzt überzeugen den Beutel tiefer zu hängen. So ging es für mich wenigstens ohne Gewürge ab. Der schwarzgrüne Brei floss durch die Sonde in den Beutel. Die Schwestern und ich hatten nur darauf zu achten, dass der Schlauch nicht verstopfte. Ein Ventil musste gewechselt werden, es war dicht. Vom zähflüssigen Kontrastmittel fürs Röntgen lief etwas in die Sonde, und die Schwester musste sie wieder freispülen. Ich weiß nicht wie oft in der Zeit im Krankenhaus mein Bauch geröntgt wurde.
Nach der Batterie rechts neben mir zu urteilen bekam ich jetzt andere Medikamente. Am Abend stolperte ein offensichtlich übermüdeter Chirurg über mein Bett und sagte dann entschuldigend, er müsse auch mal wieder schlafen. Gekommen war er, weil ihm etwas auf dem Röntgenbild nicht gefallen hatte. Das bedeutete Darmuntersuchung, die angeblich nur ein klein wenig unangenehm sein sollte. Das war natürlich stark untertrieben, und ich habe mich auch gleich beschwert. Immer, wenn ich jetzt gefragt werde, ob ich gegen irgendetwas allergisch reagiere, bin ich versucht zu sagen, ja gegen Darmuntersuchungen. Der Chirurg erzählte mir, die Operation wäre so gut verlaufen, dass er geglaubt hätte, ich würde jetzt Schonkost essen. In Wirklichkeit hatte ich neben der künstlichen Ernährung gerade mal einen kleinen Becher Joghurt geschlappert und nichts weiter.
Nach einer meiner besonders eindrucksvollen Würgeattacken zerrte die Schwester den Arzt an mein Bett, damit er sich das nun schwarzgrün umgefärbte ehemals weiße Bettzeug anschauen konnte. Der Arzt rief empört meinen Namen und stellte dann fest, ich hätte ihm ja auf die Schuhe spucken können, wenn er nahe genug gestanden hätte. Ich gab zu, dass das ursprünglich meine Absicht gewesen wäre, aber er war einfach zu weit weg.
Der Zivi tröstete mich. Andere Patienten mit künstlichem Darmausgang hätten auch viel gebrochen. Er schob mir einen Fernseher ins Zimmer, damit ich etwas Abwechselung hatte. Das erste, was ich in den Nachrichten sah, waren Berichte über den Terroranschlag in London, und dass Tony Blair die Antiterrormaßnahmen verschärfen wolle. Da hatte ich es gleich wieder satt. Ich war in Birmingham gewesen, und es war ein Schock für mich, die dritte Welt mitten in Europa zu erleben. Dem Frust dieser Leute wird man kaum mit schärferen Gesetzen beikommen können. Die einzige Sendung, die ich sehen wollte, war die Tour de France. Den Ton stellte ich leise und zwischendurch nickt ich auch ein paar mal ein.
Ich bewundere die Radfahrer, die sich durchs Gelände quälen. Im Gegensatz zu einigen andere Sportlern gehört schon eine große Portion Durchhaltevermögen dazu, um am Ende der Etappe auch anzukommen. Völlig verfehlt und unfair fand ich wiedermal die deutschen Kommentatoren über Jan Ulrich. Lance Armstrong ist nun mal der bessere Mann, und nicht nur der erste Platz ist aller Ehre Wert. Schön, dass wenigstens Armstrong, zu einer Zeit als Ulrich noch weit davon entfernt war, sagte, er traue Jan den dritten Platz zu. Den hat er ja auch am Ende erreicht.
Ich selbst kämpfte weiter gegen das Würgen. Der Arzt wollte den Abflussbeutel wieder auf Kopfhöhe hängen. Ich erklärte ihm, das wäre Folter. Wenn er den Beutel gleich wieder in Kopfhöhe hängen würde, würde er mich und meinen Magen in Panik versetzen. In harten Verhandlungen einigten wir uns schließlich den Beutel schrittweise bis auf Kopfhöhe zu hängen. Eine der Schwester sagte zu mir, sie hätten sich über mich Gedanken gemacht. Da mir meistens nachmittags schlecht wurde, vermuteten sie, dass ich mir am Tage zuviel aufbürden würde. Ich solle einen Gang zurückschalten. Die Schwestern waren die Experten, und ich hielt mich an ihren Rat. Der Physiotherapeutin sagte ich fortan, dass ich laufen wollte und nicht stundenlang sitzen, was mich viel mehr anstrengte.
Am Abend begann vermehrt Speichel in meinem Mund zu fließen. Für mich ein Zeichen, dass mein Magen wieder etwas zu tun bekommen wollte. Der Arzt schlug vor, es am nächsten Morgen mit Weißbrot zu versuchen, und ich stimmte zu. Meine erste feste Nahrung bestand aus zwei Scheiben Weißbrot mit Bienenhonig. Mittags gab es eine schöne Hühnersuppe mit viel Möhren, hm köstlich. Gewöhnlich ist das auch immer mein erstes Essen, wenn ich eine Weile krank war. Der Oberarzt spähte vorsichtig ins Zimmer und war erfreut, als ich ihm sagte, es wäre alles drin geblieben. Er klopfte dreimal auf den Türrahmen und meinte dabei, ohne ein bisschen Voodoo würde die Sache nicht gehen. Sein jüngerer Kollege klopfte praktischerweise auf seinen Kopf.
Von da an ging es aufwärts. Selbst als der Auffangbeutel wieder auf Kopfhöhe hing, dachte mein Magen nicht daran, das, was er erhielt, über den Notausgang wieder herzugeben. Ich begann den Oberarzt zu nerven, denn ich wollte den Riesenpopel endlich aus meiner Nase haben. Ja, er wisse Bescheid, sagte der Oberarzt, eine Magensonde würde 24 Stunden am Tag stören. Später kam eine Schwester und meinte, sie wolle sich bei mir einschleimen. Das hatte natürlich keine Schwester nötig. Sie hätten einen Anruf bekommen, die Sonde könne raus. Welche Erleichterung für mich, den Schlauch endlich loszuwerden. Meine Tage in der Intensivstation waren gezählt.
Ich war die ganze Zeit im wahrsten Sinne des Wortes ans Bett gefesselt. Ohne die Schwestern konnte ich mich nicht von der Kabelei befreien. Das Bett allein zu verlassen war unmöglich. Rechts hing eine ganze Batterie von Flaschen, links der Überwachungsmonitor. Ich war mit allem verkabelt und fühlte mich mehr wie einer meiner Server. Wenn ich mit den Augen klimperte oder hustete, wusste die Schwester Bescheid. Um meine Ausscheidungen musste ich mich nicht kümmern. Ich hatte einen Blasenkatheter. Der Urin wurde seitlich am Bett in einem Behälter gesammelt. Dort, wo der Chirurg am Vorabend der Operation einen grünen Kuller gemalt hatte, prangte nun ein großer Beutel. Der fing das auf, was aus meinem Dünndarm kam. Der Rest, der mir von meinem Dickdarm verblieben war, ist stillgelegt. Die Schwester entleerte sowohl den Behälter als auch den Beutel.
In der Intensivstation befinden sich neun Betten, eine Schwester betreut drei Patienten. Nach der Operation wurde ich in eines der Zimmer in der Mitte platziert. Das erste, das ich wahrnahm, war das freundliche Gesicht einer Schwester, die sich liebevoll um mich kümmerte. Dann schwebte, wie bei "Alice im Wunderland", der Kopf einer anderen Schwester herein, die mir ausrichtete, mein Vater und mein Bruder würden sich freuen, dass die Operation so gut verlaufen wäre. An Schlafen war nicht zu denken. Es waren zuviele fremde Geräusche. Ich nickte immer nur für einige Minuten ein.
Am zweiten Tag wurde ein Notfall eingeliefert, und ich wurde chaotisch in ein anderes Zimmer verlegt. Die Schwestern entfernten in großer Eile die Flaschen und warfen sie auf mein Bett. Eine landete auf meinem Bauch. Aua! Das neue Zimmer erwies sich als Glücksfall. Es lag am Ende des Ganges, war doppelt so groß wie das alte, und es hatte ein großes Fenster nach draußen. Ich sah ein Gebäude in der Pompestraße, die Hauptstraße und die Grünanlage vor dem Kreiskrankenhaus. In diese Welt wollte ich gerne zurück.
Aber am Anfang konnte ich nichts alleine. Die Schwester wusch mich. Später, als es mir besser ging, setzten sie mich entweder im Zimmer vor eine Waschschüssel oder schoben mich im Patientenstuhl ins Bad vors Waschbecken. Natürlich brauchte ich unendlich lange, aber Zeit hatte ich ja mehr als genug. Für die Schwestern war es eine Entlastung und für mich ein Stückchen Selbstständigkeit. Im Krankenhaus bekommt man Duschgel, aber ich benutzte mein eigenes. Ich hatte mir in der Drogerie Duschgel, Parfümdeo und Parfüm in zartem Altrosa mit einem Schwan als Logo gekauft. Als ich von einer Schwester untergehakt den Gang vom Bad zu meinem Zimmer an den anderen Schwestern vorbeimarschierte, riefen sie im Chor, ich solle noch mal zurückkommen. Es würde so gut riechen.
Immer, wenn die Schwestern etwas vorschlugen wie hinsetzen, aufstehen oder laufen, sagte ich "Wir versuchen das." Am Anfang hüpfte die Kommode neben meinem Bett auf und ab, und keiner hielt das Zimmer an. Beim ersten Aufbruch zum Wandern über den Gang wurde mir nach dem zweiten Schritt schwarz vor Augen. Ich musste wieder zurück ins Bett. Aber wir versuchten es einfach immer wieder. Irgendwann hüpfte die Kommode nicht mehr, und ich ging, unterstützt von einer Schwester, den Gang entlang zum Bad. Ich bekam von den Schwestern jede Hilfe, die ich brauchte, und ohne sie hätte ich die Sache wohl nicht so gut überstanden.
Denn einen Krankenhausrekord halte ich bestimmt. Ich musste mich mehrfach übergeben. Aber nicht die Anzahl der Brechanfälle war rekordverdächtig, sondern die ausgeschiedene Menge pro Würgeattacke. Die Schwester sagte, ich würde mehr brechen als eine Schwangere. Der Oberarzt sprach von schwallartigem Erbrechen. Ich glaube, die Schwestern schlossen schon Wetten ab, ob ich mich wieder übergeben hätte. Bezeichnenderweise hatte ich auch so einen Anfall, als mich mein Vati und mein Bruder besuchten. Die Pappschalen reichten nicht. Meine Lieben wurden aus dem Zimmer geführt. Das Bett wurde neu bezogen, und ich erhielt ein neues Nachthemd. Bis das Bett fertig war, musste ich stehen. Der Zivi hielt mich fest und bot mir an, falls ich nicht mehr stehen könne, sollte ich auf ihn fallen. Ich hielt durch, ohne das nette Angebot zu nutzen. Meine Leute durften wieder ins Zimmer. Das war aber nicht der letzte Brechanfall am Tag. Der Oberarzt drohte mir, noch einmal und er setzt mir am nächsten Tag eine Magensonde.
Mein Magen schleuderte ungeachtet dieser Warnung weiter einen schwarzgrünen Brei. Gut, anstelle von meinem Magen hätte ich dieses Zeug auch nicht weitergereicht. Der Oberarzt machte am nächsten Tag seine Drohung war und setzte mir durchs rechte Nasenloch die Magensonde. Nun hatte ich einen Riesenpopel an der Nase hängen und ein störendes etwas im Rachen. Bei der Visite wurde festgelegt, es mit mir und meinem Magen noch mal im Guten zu versuchen. Die drohende Endlösung wäre, wie der Chef mir sagte, noch mal aufmachen. Sie vermuteten, dass eventuell irgendetwas abgeknickt sein könnte. Alles wieder auf Anfang war keine gute Aussicht.
Die Magensonde endete in einem Beutel in Kopfhöhe, das sollte als Überlaufventil dienen. Aber die Sache war schlecht eingestellt. Es würgte mich, bevor der Brei in den Beutel lief. Mit Hilfe einer Schwester konnte ich den Arzt überzeugen den Beutel tiefer zu hängen. So ging es für mich wenigstens ohne Gewürge ab. Der schwarzgrüne Brei floss durch die Sonde in den Beutel. Die Schwestern und ich hatten nur darauf zu achten, dass der Schlauch nicht verstopfte. Ein Ventil musste gewechselt werden, es war dicht. Vom zähflüssigen Kontrastmittel fürs Röntgen lief etwas in die Sonde, und die Schwester musste sie wieder freispülen. Ich weiß nicht wie oft in der Zeit im Krankenhaus mein Bauch geröntgt wurde.
Nach der Batterie rechts neben mir zu urteilen bekam ich jetzt andere Medikamente. Am Abend stolperte ein offensichtlich übermüdeter Chirurg über mein Bett und sagte dann entschuldigend, er müsse auch mal wieder schlafen. Gekommen war er, weil ihm etwas auf dem Röntgenbild nicht gefallen hatte. Das bedeutete Darmuntersuchung, die angeblich nur ein klein wenig unangenehm sein sollte. Das war natürlich stark untertrieben, und ich habe mich auch gleich beschwert. Immer, wenn ich jetzt gefragt werde, ob ich gegen irgendetwas allergisch reagiere, bin ich versucht zu sagen, ja gegen Darmuntersuchungen. Der Chirurg erzählte mir, die Operation wäre so gut verlaufen, dass er geglaubt hätte, ich würde jetzt Schonkost essen. In Wirklichkeit hatte ich neben der künstlichen Ernährung gerade mal einen kleinen Becher Joghurt geschlappert und nichts weiter.
Nach einer meiner besonders eindrucksvollen Würgeattacken zerrte die Schwester den Arzt an mein Bett, damit er sich das nun schwarzgrün umgefärbte ehemals weiße Bettzeug anschauen konnte. Der Arzt rief empört meinen Namen und stellte dann fest, ich hätte ihm ja auf die Schuhe spucken können, wenn er nahe genug gestanden hätte. Ich gab zu, dass das ursprünglich meine Absicht gewesen wäre, aber er war einfach zu weit weg.
Der Zivi tröstete mich. Andere Patienten mit künstlichem Darmausgang hätten auch viel gebrochen. Er schob mir einen Fernseher ins Zimmer, damit ich etwas Abwechselung hatte. Das erste, was ich in den Nachrichten sah, waren Berichte über den Terroranschlag in London, und dass Tony Blair die Antiterrormaßnahmen verschärfen wolle. Da hatte ich es gleich wieder satt. Ich war in Birmingham gewesen, und es war ein Schock für mich, die dritte Welt mitten in Europa zu erleben. Dem Frust dieser Leute wird man kaum mit schärferen Gesetzen beikommen können. Die einzige Sendung, die ich sehen wollte, war die Tour de France. Den Ton stellte ich leise und zwischendurch nickt ich auch ein paar mal ein.
Ich bewundere die Radfahrer, die sich durchs Gelände quälen. Im Gegensatz zu einigen andere Sportlern gehört schon eine große Portion Durchhaltevermögen dazu, um am Ende der Etappe auch anzukommen. Völlig verfehlt und unfair fand ich wiedermal die deutschen Kommentatoren über Jan Ulrich. Lance Armstrong ist nun mal der bessere Mann, und nicht nur der erste Platz ist aller Ehre Wert. Schön, dass wenigstens Armstrong, zu einer Zeit als Ulrich noch weit davon entfernt war, sagte, er traue Jan den dritten Platz zu. Den hat er ja auch am Ende erreicht.
Ich selbst kämpfte weiter gegen das Würgen. Der Arzt wollte den Abflussbeutel wieder auf Kopfhöhe hängen. Ich erklärte ihm, das wäre Folter. Wenn er den Beutel gleich wieder in Kopfhöhe hängen würde, würde er mich und meinen Magen in Panik versetzen. In harten Verhandlungen einigten wir uns schließlich den Beutel schrittweise bis auf Kopfhöhe zu hängen. Eine der Schwester sagte zu mir, sie hätten sich über mich Gedanken gemacht. Da mir meistens nachmittags schlecht wurde, vermuteten sie, dass ich mir am Tage zuviel aufbürden würde. Ich solle einen Gang zurückschalten. Die Schwestern waren die Experten, und ich hielt mich an ihren Rat. Der Physiotherapeutin sagte ich fortan, dass ich laufen wollte und nicht stundenlang sitzen, was mich viel mehr anstrengte.
Am Abend begann vermehrt Speichel in meinem Mund zu fließen. Für mich ein Zeichen, dass mein Magen wieder etwas zu tun bekommen wollte. Der Arzt schlug vor, es am nächsten Morgen mit Weißbrot zu versuchen, und ich stimmte zu. Meine erste feste Nahrung bestand aus zwei Scheiben Weißbrot mit Bienenhonig. Mittags gab es eine schöne Hühnersuppe mit viel Möhren, hm köstlich. Gewöhnlich ist das auch immer mein erstes Essen, wenn ich eine Weile krank war. Der Oberarzt spähte vorsichtig ins Zimmer und war erfreut, als ich ihm sagte, es wäre alles drin geblieben. Er klopfte dreimal auf den Türrahmen und meinte dabei, ohne ein bisschen Voodoo würde die Sache nicht gehen. Sein jüngerer Kollege klopfte praktischerweise auf seinen Kopf.
Von da an ging es aufwärts. Selbst als der Auffangbeutel wieder auf Kopfhöhe hing, dachte mein Magen nicht daran, das, was er erhielt, über den Notausgang wieder herzugeben. Ich begann den Oberarzt zu nerven, denn ich wollte den Riesenpopel endlich aus meiner Nase haben. Ja, er wisse Bescheid, sagte der Oberarzt, eine Magensonde würde 24 Stunden am Tag stören. Später kam eine Schwester und meinte, sie wolle sich bei mir einschleimen. Das hatte natürlich keine Schwester nötig. Sie hätten einen Anruf bekommen, die Sonde könne raus. Welche Erleichterung für mich, den Schlauch endlich loszuwerden. Meine Tage in der Intensivstation waren gezählt.
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