Nordlichter
Kopf
Dienstag, 5. Juli 2005
Drinnen
Ich habe die Nacht über schlecht geschlafen. Um halb zwei kämpfte ich immer noch mit der Bettdecke.

Meine frechen Sittiche wussten heute morgen auch, dass irgendetwas im Busche war. Sonst machen sie kaum, dass ich den Käfig abgedeckt habe, einen Heidenrabatz. Heute jedoch saßen sie ungewohnt still auf der Stange und begnügten sich damit, mich aus ihren runden schwarzen Äuglein anzuschauen. Komisch, dass Tiere immer so ein Gespür für Veränderungen haben.

Das Wetter war heute morgen für mich. Den zwanzigminütigen Fußweg von meiner Wohnung zum Krankenhaus bewältigte ich per pedes. Der Himmel war bedeckt, und es war nicht mehr so heiß wie gestern. Ich hoffe, ich habe alles Nötige eingepackt. So richtig konnte mir keiner sagen, was man denn alles ins Krankenhaus mitnimmt.

In der Notaufnahme des Krankenhauses, wo ich mich melden sollte, wartete man schon auf mich. Als erstes durfte ich Blut spenden. Die Ärztin, die das erste Gespräch mit mir führte, musste telefonieren, um alle Befunde zusammenzubekommen. Irgendwie kam mir das doch alles bekannt vor.

Nun ist es raus, die Geschwulst in meinem Darm ist bösartig. Es ist Krebs. Die Ärztin zeigte mir anhand einer Abbildung, wo das Biest in meinem Bauch sitzt. Glück im Unglück, es hat noch nicht gestreut, und meine anderen Werte sind alle in Ordnung. Ich habe also gute Chancen die Sache heil zu überstehen. Der Ärztin sagte ich, dass mich die Diagnose nicht umhaue. Ich konnte mir so was denken. Mit den Tatsachen habe ich mich inzwischen abgefunden. Ich will wieder gesund werden!

Die Ärztin erklärte auf meine Frage, dass niemand wisse, wie es zu Darmkrebs komme. Völker, die sich hauptsächlich von Fisch ernähren würden, hätten diese Krankheit nicht. Da ich gern Fisch esse, wird er eine größere Rolle in meinem Ernährungsplan spielen, wenn ich wieder aus dem Krankenhaus raus bin. Die Ärztin sagte mir, ich müsse mit etwa vierzehn Tagen Krankenhausaufenthalt rechnen. Anschließend stünde mir eine Kur zu. Dieses Angebot werde ich auch nutzen.

Mein armer Arbeitskollege wird wohl auch weiterhin auf seinen wohlverdienten Urlaub verzichten müssen. Aber, wenn er meine Arbeit übernimmt, weis ich wenigstens, dass alles läuft. Sonst mache ich mir über meine Arbeit keine Gedanken. Das ist im Moment alles weit weg.

Dann musste ich zum Röntgen und zum EKG. Anschließend hat eine andere Ärztin die Narkose und die Schmerzstillung mit mir besprochen. Darmpatienten bleiben nach der Operation in der Intensivstation. Ich werde künstlich ernährt werden und einige Schläuche im Körper haben. Wie wird das sein? Wie fühlt man sich da?

Auf Station hat man mich zu zwei schon operierten Frauen ins Zimmer gelegt. Dann kam die Schwester und verpasste mir einen kleinen Einlauf, wie sie sagte. Uah!

Die jüngere meiner Zimmergenossinnen ist gestern an der Galle operiert worden. Ihr geht es nicht besonders gut. Sie scheint starke Schmerzen zu haben. Die ältere Dame ist 75 Jahre alt. Ihr wurde in der letzten Woche wegen eines Tumors eine Niere entfernt. Ich habe mich ein wenig mit ihr unterhalten. Sie ist sehr nett. Obwohl sie auch an Schmerzen leidet, ist sie doch sehr optimistisch.

Die Fenster unseres Zimmers zeigen nicht zur Stadt sondern in Richtung Haus Demmin. Ich kann also von hier die Umgebungsstraße zum Hanseufer und den Wald sehen.

Gerade sind die Schwestern gekommen. Ich musste mich entkleiden, ins berühmte rückenfreie Nachthemd schlüpfen und ins Bett klettern. In dem wurde ich zur Darmspiegelung gefahren. Wieder eine Darmspiegelung, ich hatte gedacht, das bliebe mir die nächste Zeit erspart. Diesmal lag ich nicht so bequem wie bei der erste. Ich musste auf ein Gestell klettern wie beim Frauenarzt. Sie fragten mich, ob es mir mit den Beinen behaglich wäre. Ich antwortete, dass egal wie ich liegen würde, es sei einfach nur unangenehm. Ich wurde auf diesem Gestell durch mehrere Türen gerollt. Offensichtlich hatten sie nicht mit meinen großen Füßen gerechnet, denn die touchierten einmal leicht den Rahmen.

Diese Untersuchung war wieder Erwarten nicht so schmerzhaft wie die erste Darmspiegelung. Die Ärztin erklärte mir, das Geschwür säße nicht 12 sondern nur 8 cm vom After entfernt. Es ist also ein Mastdarmkrebs. Für mich bedeutet das ganze, dass ich, zumindest für einige Zeit, einen künstlichen Darmausgang erhalte. Das ist natürlich ein Tiefschlag für mich. Wie kann man damit leben?

Die kleine Schwester hat mir gerade einen Krug mit Abführmittel gebracht. Wenn ich den ausgetrunken habe, dann darf ich mir Nachschlag holen. Mein Lieblingsort ist im Moment das Zimmer nebenan, die Toilette. Von dem Abführmittel habe ich inzwischen drei Krüge vertilgt. Angeblich sollten es 3 Liter sein, gefühlt waren es aber fünf. Mein Hintern schlägt schon wieder Fransen, und mein Darm kollert wie verrückt. Ich komme fast nicht mehr vom Klo herunter.

Weil ich von der Notaufnahme direkt auf die Station geschickt wurde, hatte ich keine Gelegenheit mir eine Telefonkarte zu besorgen. Ich habe die Schwester gefragt, ob sie mir behilflich ist. Aber sie hat es vergessen, es war viel zu tun auf der Station. Meine ältere Mitpatientin hat mir angeboten ihre Telefonkarte zu benutzen. Ich hatte zwei Telefonnummern, die von meinem Bruder und die von meiner besten Freundin. Ich rief meine Freundin an, weil es für mich leichter war, mit ihr zu reden. Ich teilte ihr mit, was ich habe, und dass ich morgen schon operiert werde. Meine Freundin brach am Telefon fast in Tränen aus, und ich musste sie trösten. Ich weiß, dass meine Verwandtschaft bei ihr anrufen wird.

Am Abend begrüßte mich der Chirurg. Er erklärte mir, was er morgen während der Operation zu tun gedenke. Auf diese Begegnung war ich gespannt gewesen. Denn egal wie fortschrittlich die Medizin auch ist, wichtig bleibt immer noch die Beziehung zwischen Arzt und Patient. Was nützen die neuesten Erkenntnisse und das beste Können, wenn der Patient seinem Arzt nicht vertraut. Dem Operateur, einem großen, schmalen, jungenhaften Typ vertraute ich sofort. Ich brauchte also nicht spontan aus dem Bett zu flüchten, in rückenfreiem Nachthemd, Socken und Badelatschen. Was hätten sie in dem Fall gemacht? Mich wieder eingefangen?

Der Chirurg malte mir einen großen, grünen, runden Kuller auf den Bauch. Dort wird später der künstliche Darmausgang sitzen. Ich habe Chancen, dass er später wieder nach innen verlegt werden kann. Ich habe der alten Dame erklärt, selbst wenn nicht werde ich mich damit abfinden. Ich will leben! Ich duschte ausgiebig, denn ich werde es eine lange Zeit nicht können. Der grüne Kuller blieb auf meinem Bauch.

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