Nordlichter
Kopf
Montag, 28. März 2005
Avanti liebe Gäste!
Unser italienischer Reiseleiter in Siena hieß Pietro. Er behauptete der heilige Petrus zu sein. So ganz konnte das jedoch nicht stimmen. Denn zu den leichtesten Übungen von Heiligen sollte es doch gehören, für schönes Wetter zu sorgen.

Schon als wir die Kirche San Domenico betraten, baute sich eine finstere Wolkenwand am Himmel auf. San Domenico ist die Ordenskirche der Dominikaner. Im Innern der Kirche befindet sich außerdem eine Kapelle, die der Schutzheiligen der Stadt, Santa Caterina, gewidmet ist. Katharina Benincasa wurde 1347 geboren. Sie wurde nur 33 Jahre alt. Schon mit 8 Jahren ging sie ins Kloster. Ihr verdanken wir, dass der Papst wieder in Rom residiert. Sie überredete Gregor XI. Avignon zu verlassen. Die heilige Katharina hatte viele Visionen und natürlich auch die Stigmata. Das Altartabernakel beherbergt ihren mumifizierten Kopf als Reliquie. Heutzutage mutet das etwas gruselig an. Aber im Mittelalter hatte man eben ganz andere Empfindungen.

Meine Mutti starb ja kurz nach meiner ersten Toskanareise. Seitdem zünde ich bei jeder Urlaubsreise in einer der Kirchen eine Kerze an. Auch Atheisten trauern um ihre Toten! Wo gäbe es einen passenderen Rahmen als diese Kirche? In Deutschland haben wir einige sehr merkwürdige Zeitgenossen, die aus ihrem christlichen Background einen Alleinvertretungsanspruch für Feiertage ableiten. Zum Beispiel sprechen sie Atheisten das Recht ab, Weihnachten zu feiern. In ihrer Anmaßung übersehen sie, dass viele christliche Feste einen heidnischen Ursprung haben. Das Osterfest, dass wir gerade feiern, schuldet seinen Namen der germanischen Frühlingsgöttin. Der eierlegende Hoppelhase ist ein altes Fruchtbarkeitssymbol. In der Bibel kommt er, meines Wissens, nicht vor. Mich überkommen in Kirchen keine religiösen Gefühle. Ich verbinde damit europäische Kultur und Geschichte. Aus diesem Grunde würde ich auch jedem die Hand abhacken, der eine Kirche schändet. Die Kirche San Domenico ist der Ayers Rock von Siena. Sie wirkt mehr wie ein großer Felsen als wie ein Gebäude.

Als wir sie verließen, begann es aus der dunklen Regenwand zu tröpfeln. Von wegen heiliger Petrus! San Pietro trieb uns mit „avanti liebe Gäste“ zur Eile an. Je weiter wir in die Altstadt vordrangen, desto stärker setzte der Regen ein. Schließlich blieb uns nichts weiter übrig, als unter einem Torbogen Schutz zu suchen. Ich hatte mich an diesem Tag trotz des Wetters gegen Jeans und für eine Sommerhose entschieden. Inzwischen, und weil einer meiner Reisegefährten seinen Regenschirm über mich ausgekippt hatte, war sie quaddernass. Es sollte sich aber trotzdem als gute Idee erweisen, die Sommerhose gewählt zu haben. Durch den engen Torbogen quetschte sich an uns vorbei ein PKW. Typisch deutsch murmelten wir Flüche und pressten uns an die Wände. Die Italiener taten ihren Unmut durch wütendes Klopfen aufs Wagendach kund. Wir tropften, in stummem Leiden, still vor uns hin.

San Pietro hatte Erbarmen. Durch den Platzregen hatten wir die Hälfte unserer Truppe verloren. Unser Reiseleiter führte den Rest in ein kleines Kino. Dort war es warm und vor allen Dingen trocken. Für einen kleinen Obolus sahen wir uns einen Film über das bekannteste Ereignis der Toskana an, den Palio. Meine Hose trocknete schnell. Es regnete zwar immer noch, als wir aus dem Kino kamen, aber es war längst nicht mehr so schlimm wie vorher.

Unser Reiseleiterapostel geleitete uns zum Dom. Der gluckt wie eine schwarzweißgestreifte Henne auf der höchsten Erhebung der Stadt und ist von fast überall zu sehen. Ursprünglich sollte sein neues südliches Kirchenschiff das größte der damaligen Christenheit werden. Aber dann kam die Pest und das Bauwerk blieb unvollendet. Die Stadtführung schloss das Innere des Doms leider nicht mit ein. Meine Reisegefährten verzichteten, für mich unverständlich, darauf, den Innenraum selbst zu erkunden. Sehr schade für sie. Ich habe all die Kostbarkeiten gesehen. Besonders in Erinnerung ist mir die Piccolomini-Bibliothek und die Bronzestatue Johannes des Täufers von Donatello. Wenn Ihr im Innern des Doms steht, wisst Ihr gar nicht, wohin Ihr Eure Augen zuerst wenden sollt. Da sind die gestreiften Säulen an den Seiten, die wunderschöne blaue Decke mit goldenen Sternen und dann erst der Fußboden. Mein Toskanareisebuch berichtet an den Mosaiken, Sgraffiti und Marmorintarsien hätten 40 Künstler zwei Jahrhunderte lang gearbeitet. Der wertvolle Fußboden kann nur vom 15. August bis zum 15. September besichtigt werden. Die übrige Zeit des Jahres ist er zugedeckt. Draußen beim Rundgang um den Dom fiel mir eine Bettlerin und zwei Emigranten auf, die den üblichen Tand anboten. Bei meinem ersten Besuch in Siena gab es weder die eine noch die anderen.

Siena hat aber nicht nur Altertümer vorzuzeigen. In meiner Sturm- und Drangzeit war ich, sehr zum Leidwesen meiner Eltern, Hardrockfan. Die Rockröhre Gianna Nannini wird allerdings den Hiphopern unter Euch wenig sagen. Na vielleicht ist Euch aber ihr Bruder Alessandro ein Begriff. Der war Rennfahrer und ist nun Chef des Familienbetriebes, der Bäckerei Nannini, die an unserem Weg lag.

Kaum hatten wir unseren feuchten Stadtrundgang auf dem Campo beendet, lugte die Sonne aus den Wolken hervor. Der Platz hat ja eine leichte Neigung, so dass sich das Wasser nicht sammeln kann. Die Sonne tat den Rest und der Campo war ruckzuck wieder trocken. Nachdem wir im Feuchtbiotop Siena ausgiebig geplanscht hatten, wollten wir uns jetzt eine kleine Mahlzeit, sprich einen Cappuccino, gönnen. Mit diesem Ansinnen waren wir allerdings in den Restaurants gleich links hinter der Fonte Gaia an der falschen Adresse. Wer nicht mindestens eine Pizza bestellt, hat dort nichts zu suchen und wird weggejagt! Nanü, seit wann herrscht in Italiens Restaurants Esszwang? Verbreitet sich die schlechte Sitte aus Großbritannien im Rahmen der EU auch auf dem Kontinent? Wir verließen die ungastliche Stätte und wichen nach ganz links in die Mitte aus. Draußen gab es zwar keinen Platz mehr aber dafür drinnen. Das Restaurant war sehr gemütlich, die Bedienung angenehm und den Cappuccino gab es in einer großen Suppentasse. Na also, geht doch!

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