Jüdischer Friedhof in Demmin
Sonntag, 17. Juni 2007, Kategorie: 'unterwegs'
Im Mai 2004 war ich schon einmal an einem Samstag dort, blieb draußen und spähte nur über den Zaun. Ich wusste seinerzeit zwar, dass Demmin einen jüdischen Friedhof hat, aber nicht, wo er sich befand. In die Öffentlichkeit rückt er auch immer dann, wenn der Bürgermeister oder andere Provinzgrößen an Gedenktagen Kränze ablegen. Es gab keinen Wegweiser dorthin. Der kleine Friedhof liegt etwas versteckt in der Bergstraße, der Straße hinter dem Bahnhof. Ich kam vor drei Jahren auf meinem Weg zum martialischen Ulanendenkmal daran vorbei.
Ich wurde in einer Stadt geboren, die eine Vielzahl von zum Teil recht alten Begräbnisstätten besitzt. Manche Menschen haben eine gewisse Scheu auf Friedhöfe zu gehen. Die meisten derartigen Plätze, die ich kenne, sind angenehme parkartige Orte der Stille abseits vom hektischen Tagesgeschehen. Mich führte mein Weg jeden Schultag durch die Baumallee auf dem Knieperfriedhof zur Hansa-Oberschule, der einzigen Erweiterten Oberschule der Stadt zu DDR-Zeiten. Es war damals einfach die kürzeste Verbindung, und vor den Toten hatte ich keine Angst. Neben bescheidenen Grabstätten gab es auch einige pompöse mit geflügelten Himmelsboten. Nicht einmal im Tode sind die Menschen gleich, da sind immer noch einige gleicher. Ich las die Inschriften auf den Grabsteinen und überlegte, was für Geschichten sich dahinter verbargen. Ich hätte sie gern gehört.
Es sind nicht die Friedhöfe, die ich fürchte. Jetzt, wo ich durch meine Krankheit einmal mehr das Gefühl gehabt hatte, dem Tode näher als dem Leben gewesen zu sein, kam ich beim letzten Sonntagsspaziergang abermals am Jüdischen Friedhof vorbei. Die kleine Nebentür stand einladend offen, und so ging ich auch gleich ohne zu zögern hinein. Ich habe keine Ahnung, ob Demmins jüdische Gemeinde sich 1845 ihren "Guten Ort" selbst aussuchen konnten. Es spricht einiges dafür, denn es ist ein sehr schöner, ruhiger Platz. Am Eingang stehen hohe Linden, die den Friedhof von der schmalen Straße abschirmen und große Schatten werfen. Das Schild neben der Eingangspforte weist den Landesverband der jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern als Eigentümer aus.
Wie erwartet war ich an diesem Sonntagvormittag die einzige Besucherin. Der Friedhof ist klein und besteht nur aus einem Weg in der Mitte und zwei Rasenflächen rechts und links, auf denen die Grabsteine stehen. Beim antisemitischen Pogrom, der Reichskristallnacht im Jahre 1938, wurde die Begräbnisstätte verwüstet. Aber nur einer der Steine lag zerbrochen auf dem Rasen. Es gibt keinen Hinweis, welchen Umfang die Zerstörung hatte. Wenn ich heute den Friedhof betrachte, sieht er unverfänglich aus, als hätte nur der Zahn der Zeit an ihm genagt, aber er nie ein Pogrom überstanden. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Reichskristallnacht in Demmin harmloser abgelaufen wäre als anderswo in Deutschland.
Auf der ersten Stele las ich nicht, wie vermutet die Lebensdaten eines Menschen, sondern den Psalm 122-8 aus dem Alten Testament "Um meiner Brüder und Freunde willen will ich dir Frieden wünschen.". Einige der Grabsteine sind stark verwittert und mit Flechten überzogen. Soweit ich es erkennen konnte, waren die meisten der hier Bestatteten in der Mitte des 19. Jahrhundert geboren worden und einige Jahre nach der Jahrhundertwende gestorben. Die vermutlich letzte Person, die hier 1933 beerdigt wurde, war Clara Cohn.
Ich gebe zu, ich weiß nur wenig über jüdisches Leben, noch weniger über jüdische Friedhöfe oder Bestattungszeremonien. Samstag geht man nicht auf einen jüdischen Friedhof. Männer müssen eine Kopfbedeckung tragen, wenn sie ihn betreten. Die Begräbnisstätten sind das Eigentum der Begrabenen. Es gibt keine begrenzte Liegezeiten, ebensowenig wie Blumen oder Kerzen. Die Steinchen, die auf einigen der Grabsteine liegen, sind der einzige Schmuck. Sie können nicht verwelken höchstens verwittern.
Niemand ist dadurch gezwungen auf den Friedhof zu gehen, nur weil die Blumen gepflegt werden müssen. Das unterscheidet jüdische Grabstätten von den anderen, die ich sonst kenne. Meine Mutti hatte mir erzählt, dass ihre Freundin jeden Tag auf den Friedhof gegangen wäre. Aber nicht um ihrem verstorbenen Mann nahe zu sein, sondern um das Grab akkurat zu pflegen. Die Gruppe alter Frauen, zu der sie gehörte, sahen ihren Lebenszweck nur noch darin sich gegenseitig bei der Grabgärtnerei zu kontrollieren.
Grabpflege für die Leute, da gefällt mir die jüdische Vorgehensweise doch weitaus besser. Zu meiner Überraschung, las ich auf einem der Grabsteine den Namen Holz. Es war der Mädchenname meiner Mutter. Stephan Holz, der hier beerdigt wurde, starb sehr jung einen Monat vor seinem 22. Geburtstag. Einige meiner Vorfahren mütterlicherseits stammen aus einem Dorf, das 10 km von Demmin entfernt liegt. Ich weiß nicht, ob eine Verwandtschaft mit diesem Stephan Holz bestand. Auf seinem Grabstein liegen keine kleinen Steine. Ich werde welche mitbringen, wenn ich wieder hier vorbeikomme.
Ich wurde in einer Stadt geboren, die eine Vielzahl von zum Teil recht alten Begräbnisstätten besitzt. Manche Menschen haben eine gewisse Scheu auf Friedhöfe zu gehen. Die meisten derartigen Plätze, die ich kenne, sind angenehme parkartige Orte der Stille abseits vom hektischen Tagesgeschehen. Mich führte mein Weg jeden Schultag durch die Baumallee auf dem Knieperfriedhof zur Hansa-Oberschule, der einzigen Erweiterten Oberschule der Stadt zu DDR-Zeiten. Es war damals einfach die kürzeste Verbindung, und vor den Toten hatte ich keine Angst. Neben bescheidenen Grabstätten gab es auch einige pompöse mit geflügelten Himmelsboten. Nicht einmal im Tode sind die Menschen gleich, da sind immer noch einige gleicher. Ich las die Inschriften auf den Grabsteinen und überlegte, was für Geschichten sich dahinter verbargen. Ich hätte sie gern gehört.
Es sind nicht die Friedhöfe, die ich fürchte. Jetzt, wo ich durch meine Krankheit einmal mehr das Gefühl gehabt hatte, dem Tode näher als dem Leben gewesen zu sein, kam ich beim letzten Sonntagsspaziergang abermals am Jüdischen Friedhof vorbei. Die kleine Nebentür stand einladend offen, und so ging ich auch gleich ohne zu zögern hinein. Ich habe keine Ahnung, ob Demmins jüdische Gemeinde sich 1845 ihren "Guten Ort" selbst aussuchen konnten. Es spricht einiges dafür, denn es ist ein sehr schöner, ruhiger Platz. Am Eingang stehen hohe Linden, die den Friedhof von der schmalen Straße abschirmen und große Schatten werfen. Das Schild neben der Eingangspforte weist den Landesverband der jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern als Eigentümer aus.
Wie erwartet war ich an diesem Sonntagvormittag die einzige Besucherin. Der Friedhof ist klein und besteht nur aus einem Weg in der Mitte und zwei Rasenflächen rechts und links, auf denen die Grabsteine stehen. Beim antisemitischen Pogrom, der Reichskristallnacht im Jahre 1938, wurde die Begräbnisstätte verwüstet. Aber nur einer der Steine lag zerbrochen auf dem Rasen. Es gibt keinen Hinweis, welchen Umfang die Zerstörung hatte. Wenn ich heute den Friedhof betrachte, sieht er unverfänglich aus, als hätte nur der Zahn der Zeit an ihm genagt, aber er nie ein Pogrom überstanden. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Reichskristallnacht in Demmin harmloser abgelaufen wäre als anderswo in Deutschland.
Auf der ersten Stele las ich nicht, wie vermutet die Lebensdaten eines Menschen, sondern den Psalm 122-8 aus dem Alten Testament "Um meiner Brüder und Freunde willen will ich dir Frieden wünschen.". Einige der Grabsteine sind stark verwittert und mit Flechten überzogen. Soweit ich es erkennen konnte, waren die meisten der hier Bestatteten in der Mitte des 19. Jahrhundert geboren worden und einige Jahre nach der Jahrhundertwende gestorben. Die vermutlich letzte Person, die hier 1933 beerdigt wurde, war Clara Cohn.
Ich gebe zu, ich weiß nur wenig über jüdisches Leben, noch weniger über jüdische Friedhöfe oder Bestattungszeremonien. Samstag geht man nicht auf einen jüdischen Friedhof. Männer müssen eine Kopfbedeckung tragen, wenn sie ihn betreten. Die Begräbnisstätten sind das Eigentum der Begrabenen. Es gibt keine begrenzte Liegezeiten, ebensowenig wie Blumen oder Kerzen. Die Steinchen, die auf einigen der Grabsteine liegen, sind der einzige Schmuck. Sie können nicht verwelken höchstens verwittern.
Niemand ist dadurch gezwungen auf den Friedhof zu gehen, nur weil die Blumen gepflegt werden müssen. Das unterscheidet jüdische Grabstätten von den anderen, die ich sonst kenne. Meine Mutti hatte mir erzählt, dass ihre Freundin jeden Tag auf den Friedhof gegangen wäre. Aber nicht um ihrem verstorbenen Mann nahe zu sein, sondern um das Grab akkurat zu pflegen. Die Gruppe alter Frauen, zu der sie gehörte, sahen ihren Lebenszweck nur noch darin sich gegenseitig bei der Grabgärtnerei zu kontrollieren.
Grabpflege für die Leute, da gefällt mir die jüdische Vorgehensweise doch weitaus besser. Zu meiner Überraschung, las ich auf einem der Grabsteine den Namen Holz. Es war der Mädchenname meiner Mutter. Stephan Holz, der hier beerdigt wurde, starb sehr jung einen Monat vor seinem 22. Geburtstag. Einige meiner Vorfahren mütterlicherseits stammen aus einem Dorf, das 10 km von Demmin entfernt liegt. Ich weiß nicht, ob eine Verwandtschaft mit diesem Stephan Holz bestand. Auf seinem Grabstein liegen keine kleinen Steine. Ich werde welche mitbringen, wenn ich wieder hier vorbeikomme.