Doppelmarathon kurz vorm Ziel
Samstag, 19. August 2006, Kategorie: 'Krankengeschichten'
Wenn die Übelkeit geht, kehrt auch der Appetit langsam wieder. Die anderen Nebenwirkungen der Chemotherapie sind anhänglicher die Kieferkrämpfe, die Missempfindungen in den Fingerspitzen. Ich würde auch gern die Luft aus meinen Fußsohlen rauslassen, wenn ich denn wüsste wie.
Meiner Freundin habe ich erklärt, die beiden Chemotherapien gleich hintereinander kämen mir vor wie ein doppelter Marathonlauf. Sehen wir zu, dass aus dem Biathlon kein Triathlon wird. Im Moment fühle ich mich wie ein Läufer, der kurz vor dem Ziel zusammensackt und keinen Schritt mehr gehen kann. Nun gut, wenn ich nicht durchs Ziel laufen kann, dann krieche ich eben dorthin. Ich will in mein normales Leben zurück.
In einem Monat ist mein Seminargruppentreffen in Freiberg. Auch deshalb habe ich meine Spaziergänge wieder aufgenommen. Das fällt mir nicht leicht, und ich gebe zu, ich muss mich echt quälen. Meine Tante und mein Onkel, die am Mittwoch hier waren, versuchten mir die Fahrt ins Sachsenland auszureden. Sie sind sehr besorgt um mich und haben Angst, ich könnte mich übernehmen. Vielleicht haben sie recht, und diese Aktion geht wirklich über meine Kräfte, aber ich will unbedingt dorthin. Seit über einem Jahr sehe ich nichts anderes als Krankenhäuser. Ich will einfach nur raus.
Im Nordkurier, der angeblich so unabhängigen Tageszeitung Mecklenburg-Vorpommerns amüsierte mich Korrespondent Christoph Slangen mit seinem Kommentar "Abgetrotzt". Wobei er schlussfolgerte:
Im letzten Jahr beschloss ich, den Wirtschaftsstandort Deutschland und meine Krankenkasse gehörig zu schädigen. Da ich sonst nichts Dringendes zu tun hatte, legte ich mir einen hübschen Mastdarmkrebs Stadium 3 zu. Mit dem Endstadium 4 wollte ich nicht gleich anfangen. Es wäre ja sonst keine Steigerung mehr möglich. Wie kommt man zu so was? Indem man nicht raucht, ein bisschen Sport treibt, wenig Alkohol trinkt und sich ansonsten gesund ernährt. Zumindest bei mir hat das tadellos geklappt. Meine Ärzte verstanden dagegen in Sachen Krebs keinen Spaß und schnippelten mir diesen samt einem Stückchen Darm und den befallenen Lymphknoten aus dem Bauch. Bei der zweiten Operation wollten sie unbedingt den Teil von meiner Leber mit der niedlichen Metastase haben. Meine versteinerte Galle gab es als Bonus dazu. Bei der dritten Operation planierten sie mir den Wanst und verschlossen den Bauchafter. Nun kann ich wieder auf die normale Art pupsen und auf den Topf gehen, allerdings manchmal mehr, als mir lieb ist.
Die Operationen sind die eine Seite, da kann ich mich noch mit abfinden, wenn sie 50 km von meinem Wohnort stattfinden. Die andere Seite ist die Therapie, die sich monatelang dahinzieht. Nach meiner ersten Operation war es Bestrahlung und Chemo im Doppelpack, nach der dritten noch eine Chemotherapie. Ich habe Glück, wenigstens die Chemo erhalte ich in Demmin. Für die Bestrahlung dagegen musste ich nach Greifswald. An manchen Tagen hieß das, früh in die Onkologie und nachmittags mit dem Taxi nach Greifswald. Die gravierendsten Folgen der Therapie sind für mich Übelkeit und Erbrechen. Jedes Mal wenn ich aus Greifswald zurückkam, ging mein erster Gang ins Bad, um mich zu übergeben. Ich hatte 32 Strahlungsbehandlungen. Das bedeutete 32-mal der Kampf gegen die Übelkeit und die berechtigte Sorge, dass die Stomaversorgung nicht dichthielt. Im Hochsommer litt ich zusätzlich unter der Hitze. Im Alltag einer Krebskranken passieren noch richtige Abenteuer. Ich wünschte, Herr Slangen wäre dabeigewesen. Er hätte mir wenigstens die Kotztüte halten können. Dann will dieser Mensch mir zumuten auch noch die Chemotherapie woanders zu erhalten. Die Chemo allein ist anstrengend genug. Ich muss die Last ja nicht noch durch eine lange Autofahrt künstlich verstärken.
Meine Mitpatientin aus Greifswald läßt sich für ihre Chemotherapie stationär in die Uniklinik einweisen. Sie ist nicht bereit sich die 85 km hin und anschließend die 85 km zurück in ihr Nest auf Rügen kutschieren zu lassen. Diese Fahrerei ist ihr zu qualvoll. So ein Weichei aber auch! Wie soll es mit Deutschland vorrangehen, wenn sich Krebskranke so gehen lassen? Herr Oettinger, seines Zeichens Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hat darauf die richtige Antwort parat: zehnprozentige Zuzahlung der Patienten auf alle Behandlungskosten. Bravo, Herr Oettinger! Endlich werden die wahren Verursacher der Gesundheitsmisere zur Kasse gebeten. Krebspatienten und andere chronisch Erkrankte haben sich ihre Krankheit bekanntlich mit der vollen Absicht zugelegt, gemütlich in der sozialen Hängematte rumzugammeln. Wenn wir dann in Deutschland endlich amerikanische Verhältnisse haben, und ich mir meinen Krebs nicht mehr leisten kann, habe ich ja immer noch die Möglichkeit Aprikosenkerne zu zerkauen oder mich per Telepathie heilen zu lassen. Das Mittelalter läßt herzlich grüßen!
Bei solchen Kommentatoren und Politikern ist mir um den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht bang. Was stört ist eigentlich nur noch die ganz normale, aus welchem Grunde auch immer, nichtarbeitende Bevölkerung, zu nichts nutze, ein Kostenfaktor eben. Aber das kriegen wir auch noch in den Griff! Die alte Dame mit dem Nierenkrebs hatte mich gefragt, was in früheren Zeiten mit uns beiden passiert wäre. Sie meinte das Mittelalter. Meine Antwort hatte gelautet, wir wären einfach gestorben. Wenn es nach Herrn Oettinger geht, ist das Mittelalter noch nicht vorbei, oder falls man auf den Hundt gekommen ist auch nicht. Sozialverträgliches Ableben heißt das in Neusprech.
Ja, der Nordkurier ist eine unabhängige Tageszeitung, unabhängig von Meinungen jenseits des Mainstreams. Ich kann dort heute schon lesen, was gestern noch bei Spiegel-Online stand. Eigene Schlußfolgerungen zu ziehen und die auch zu vertreten, gehören offensichtlich nicht zu den journalistischen Tugenden bei der führenden Tageszeitung im Nordosten Deutschlands. Papageiartiges Nachplappern der Losungen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und anderer Lobbyverbände ist angesagt. Wozu braucht's da eigentlich noch Journalisten? Ich hätte da zwei sehr talentierte Sittiche anzubieten. Sehr billig im Unterhalt, die sind im Gegensatz zu Vertretern der schreibenden Zunft nur mit Hirsekörnern, Kalkstein und Wasser zufrieden. Das können nicht einmal osteuropäische Tagelöhner unterbieten. Im Moment trainiere ich meine beiden Zimmergeier gerade darin die Tastatur des Notebooks zu bedienen.
Meiner Freundin habe ich erklärt, die beiden Chemotherapien gleich hintereinander kämen mir vor wie ein doppelter Marathonlauf. Sehen wir zu, dass aus dem Biathlon kein Triathlon wird. Im Moment fühle ich mich wie ein Läufer, der kurz vor dem Ziel zusammensackt und keinen Schritt mehr gehen kann. Nun gut, wenn ich nicht durchs Ziel laufen kann, dann krieche ich eben dorthin. Ich will in mein normales Leben zurück.
In einem Monat ist mein Seminargruppentreffen in Freiberg. Auch deshalb habe ich meine Spaziergänge wieder aufgenommen. Das fällt mir nicht leicht, und ich gebe zu, ich muss mich echt quälen. Meine Tante und mein Onkel, die am Mittwoch hier waren, versuchten mir die Fahrt ins Sachsenland auszureden. Sie sind sehr besorgt um mich und haben Angst, ich könnte mich übernehmen. Vielleicht haben sie recht, und diese Aktion geht wirklich über meine Kräfte, aber ich will unbedingt dorthin. Seit über einem Jahr sehe ich nichts anderes als Krankenhäuser. Ich will einfach nur raus.
Im Nordkurier, der angeblich so unabhängigen Tageszeitung Mecklenburg-Vorpommerns amüsierte mich Korrespondent Christoph Slangen mit seinem Kommentar "Abgetrotzt". Wobei er schlussfolgerte:
Allerdings ist die Aufrechterhaltung jedes noch so kleinen und defizitären Alround-Krankenhauses kein Ziel, das verfolgt werden sollte. Zwar muss eine Krankenhausversorgung auch in der Fläche gewährleistet bleiben, nicht aber zwingend im derzeitigen Ausmaß. Mit vielen Krankenhäusern, in denen unterbezahlte und überarbeitete Ärzte Dienst versehen, wären Patienten auch nicht gedient.Je weniger Krankenhäuser es gibt, um so höher ist das Gehalt fürs medizinische Personal. Diese These ist natürlich von durchschlagender Logik. Abgesehen von Herrn Slangens offensichtlichen Defiziten in ökonomischen Belangen, scheint der Gute an keiner ernsthaften chronischen Krankheit zu leiden und auch niemand zu kennen, der das tut. Der Glückliche! Mitgefühl mit Schwächeren ist keine deutsche Tugend und sich in andere hineinzudenken schon gar nicht. Unter Journalisten, zumindest beim Nordkurier, scheint diese Eigenschaft nicht sehr weit verbreitet zu sein. Na gut, da kann ich nichts machen. Zumindest kann ich Christoph Slangen doch einiges über das Leben chronisch Kranker beibringen und ihm erklären, was es für mich bedeuten würde, wenn es das Kreiskrankenhaus in Demmin nicht mehr gibt. Denn ich sehe ihn da in seiner Vorstellungskraft deutlich überfordert.
Im letzten Jahr beschloss ich, den Wirtschaftsstandort Deutschland und meine Krankenkasse gehörig zu schädigen. Da ich sonst nichts Dringendes zu tun hatte, legte ich mir einen hübschen Mastdarmkrebs Stadium 3 zu. Mit dem Endstadium 4 wollte ich nicht gleich anfangen. Es wäre ja sonst keine Steigerung mehr möglich. Wie kommt man zu so was? Indem man nicht raucht, ein bisschen Sport treibt, wenig Alkohol trinkt und sich ansonsten gesund ernährt. Zumindest bei mir hat das tadellos geklappt. Meine Ärzte verstanden dagegen in Sachen Krebs keinen Spaß und schnippelten mir diesen samt einem Stückchen Darm und den befallenen Lymphknoten aus dem Bauch. Bei der zweiten Operation wollten sie unbedingt den Teil von meiner Leber mit der niedlichen Metastase haben. Meine versteinerte Galle gab es als Bonus dazu. Bei der dritten Operation planierten sie mir den Wanst und verschlossen den Bauchafter. Nun kann ich wieder auf die normale Art pupsen und auf den Topf gehen, allerdings manchmal mehr, als mir lieb ist.
Die Operationen sind die eine Seite, da kann ich mich noch mit abfinden, wenn sie 50 km von meinem Wohnort stattfinden. Die andere Seite ist die Therapie, die sich monatelang dahinzieht. Nach meiner ersten Operation war es Bestrahlung und Chemo im Doppelpack, nach der dritten noch eine Chemotherapie. Ich habe Glück, wenigstens die Chemo erhalte ich in Demmin. Für die Bestrahlung dagegen musste ich nach Greifswald. An manchen Tagen hieß das, früh in die Onkologie und nachmittags mit dem Taxi nach Greifswald. Die gravierendsten Folgen der Therapie sind für mich Übelkeit und Erbrechen. Jedes Mal wenn ich aus Greifswald zurückkam, ging mein erster Gang ins Bad, um mich zu übergeben. Ich hatte 32 Strahlungsbehandlungen. Das bedeutete 32-mal der Kampf gegen die Übelkeit und die berechtigte Sorge, dass die Stomaversorgung nicht dichthielt. Im Hochsommer litt ich zusätzlich unter der Hitze. Im Alltag einer Krebskranken passieren noch richtige Abenteuer. Ich wünschte, Herr Slangen wäre dabeigewesen. Er hätte mir wenigstens die Kotztüte halten können. Dann will dieser Mensch mir zumuten auch noch die Chemotherapie woanders zu erhalten. Die Chemo allein ist anstrengend genug. Ich muss die Last ja nicht noch durch eine lange Autofahrt künstlich verstärken.
Meine Mitpatientin aus Greifswald läßt sich für ihre Chemotherapie stationär in die Uniklinik einweisen. Sie ist nicht bereit sich die 85 km hin und anschließend die 85 km zurück in ihr Nest auf Rügen kutschieren zu lassen. Diese Fahrerei ist ihr zu qualvoll. So ein Weichei aber auch! Wie soll es mit Deutschland vorrangehen, wenn sich Krebskranke so gehen lassen? Herr Oettinger, seines Zeichens Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hat darauf die richtige Antwort parat: zehnprozentige Zuzahlung der Patienten auf alle Behandlungskosten. Bravo, Herr Oettinger! Endlich werden die wahren Verursacher der Gesundheitsmisere zur Kasse gebeten. Krebspatienten und andere chronisch Erkrankte haben sich ihre Krankheit bekanntlich mit der vollen Absicht zugelegt, gemütlich in der sozialen Hängematte rumzugammeln. Wenn wir dann in Deutschland endlich amerikanische Verhältnisse haben, und ich mir meinen Krebs nicht mehr leisten kann, habe ich ja immer noch die Möglichkeit Aprikosenkerne zu zerkauen oder mich per Telepathie heilen zu lassen. Das Mittelalter läßt herzlich grüßen!
Bei solchen Kommentatoren und Politikern ist mir um den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht bang. Was stört ist eigentlich nur noch die ganz normale, aus welchem Grunde auch immer, nichtarbeitende Bevölkerung, zu nichts nutze, ein Kostenfaktor eben. Aber das kriegen wir auch noch in den Griff! Die alte Dame mit dem Nierenkrebs hatte mich gefragt, was in früheren Zeiten mit uns beiden passiert wäre. Sie meinte das Mittelalter. Meine Antwort hatte gelautet, wir wären einfach gestorben. Wenn es nach Herrn Oettinger geht, ist das Mittelalter noch nicht vorbei, oder falls man auf den Hundt gekommen ist auch nicht. Sozialverträgliches Ableben heißt das in Neusprech.
Ja, der Nordkurier ist eine unabhängige Tageszeitung, unabhängig von Meinungen jenseits des Mainstreams. Ich kann dort heute schon lesen, was gestern noch bei Spiegel-Online stand. Eigene Schlußfolgerungen zu ziehen und die auch zu vertreten, gehören offensichtlich nicht zu den journalistischen Tugenden bei der führenden Tageszeitung im Nordosten Deutschlands. Papageiartiges Nachplappern der Losungen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und anderer Lobbyverbände ist angesagt. Wozu braucht's da eigentlich noch Journalisten? Ich hätte da zwei sehr talentierte Sittiche anzubieten. Sehr billig im Unterhalt, die sind im Gegensatz zu Vertretern der schreibenden Zunft nur mit Hirsekörnern, Kalkstein und Wasser zufrieden. Das können nicht einmal osteuropäische Tagelöhner unterbieten. Im Moment trainiere ich meine beiden Zimmergeier gerade darin die Tastatur des Notebooks zu bedienen.