Nordlichter
Kopf
Samstag, 21. April 2007
Freitag der 13. und andere Katastrophen
Ich hatte allen Grund mich vor diesem Freitag am 13. April 2007 zu fürchten. Mein Arzt hatte mir am Dienstag davor zwar bescheinigt, dass bei der Untersuchung alles in Ordnung wäre, aber ich hatte noch einen weiteren Test offen. Darüber verlor ich in der onkologischen Sprechstunde kein Wort. Es war erstmal mein Problem und nicht das meines mich betreuenden Doktors. Solange ich selbst nichts genaues wusste, wollte ich keinen Wellen schlagen. Die einzige, die ich eingeweiht hatte, war Beate. Als ich das Krankenhaus verließ, fuhr gerade der Kombi des Bestattungsunternehmens von gegenüber vor, ganz schlechtes Karma.

Der Brief war vor Ostern gekommen mitten in die Querelen mit der Agentur für Arbeit um mein Arbeitslosengeld I. Beate sagte mir, ich sähe aus, als hätte ich eine weitaus schlimmere Nachricht erhalten. Ich schob ihr das Schreiben zu. Im März hatte ich am Mammographiescreening teilgenommen. Nun sollte ich nach Greifswald kommen. Angeblich hätten meine Aufnahmen einen technischen Defekt erlitten. Diese Erklärung sollte mich wohl beruhigen, aber ich war misstrauisch. In diesem Fall hätte ich erneut in Demmin geröntgt werden können und müsste nicht nach Greifswald. Vor mehr als einem Jahr sollte ich auch zu einem früheren Termin als vereinbart zu meinem Onkologen. Die Schwester begründete das damals am Telefon mit, der Doktor hätte dann Urlaub. Aber ich hörte an ihrem Tonfall, dass etwas nicht stimmte. Diesmal nahm ich darum an, dass beim Screening etwas gefunden wurde. So war ich Ostern zusätzlich in Panik. Auch meiner Großfamilie in Berlin verschwieg ich dieses neue Problem. Sie haben meinetwegen schon genug Sorgen. Beate erklärte sich zu meiner Erleichterung bereit, mich nach Greifswald zu fahren.

Mein Termin war am Freitagvormittag. Beate kam etwas später als vereinbart. Sie sagte, ihr Auto gäbe so merkwürdige Geräusche von sich. Der Übeltäter schien der Keilriemen zu sein. Statt nach Greifswald fuhren wir zur nächsten Werkstatt. Der Mechaniker vermutete mehr Mängel als den Riemen. Die entsprechenden Teile hatte er natürlich nicht auf Lager, sondern musste sie erst ordern. Ob Beates Auto noch am Freitag repariert werden konnte, stand nicht fest. Ich war drauf und dran mein Date in Greifswald abzusagen. Wenn ein Tag schon so anfängt, geht gewöhnlich alles schief, was nur schief gehen kann und dann noch Freitag der dreizehnte. Am besten man geht nach Hause und legt sich ins Bett.

Beate ließ das nicht zu. Der Leihwagen, mit dem wir verspätet in Richtung Greifswald starteten, war ein kleiner roter Honda. Ich rief von unterwegs in der Klinik an und meldete Verspätung wegen Autopanne. Das wäre kein Problem, meinte die Schwester, ich würde auf jeden Fall untersucht werden. Eine halbe Stunde nach meinem Termin parkten wir vor der Uniklinik. Das Klinikum von außen ein Quadersammelsurium gleicht im Innern dem Labyrinth des Minotaurus. Die Frau, die wir nach dem Weg fragten, sagte uns, hier würden jede Woche die Schilder gewechselt werden. Sie begleitete uns aber trotzdem via Fahrstuhl bis zum Vorraum beim Screening. Ich war dort die einzige Patientin, die erwartet wurde.

Klinikum der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Im Web halten sich Pro und Kontra zur Mammographie die Waage. Viele würden geröntgt, aber nur wenige wären von Brustkrebs betroffen. Sicher wäre man auf keinen Fall. Der Befund könnte richtig, falsch positiv oder falsch negativ sein. Das half mir aber nicht weiter. Ich bin in einem Dilemma, denn ich hatte schon mal Krebs. Soll ich nun teilnehmen oder es lassen? Um die garantiert richtige Bewertung zu treffen, müsste ich hellsehen können. So konnte ich mich eigentlich nur falsch entscheiden.

Die Oberärztin bestätigte meinen Verdacht, oberhalb der rechten Brust war eine Unregelmäßigkeit entdeckt worden. Diese Seite wurde noch einmal gescreent. Dabei wurde meine Brust zwischen zwei Plexiglasplatten gequetscht, während ich mich davor verrenkte. Ich äußerte spontan, falls das bösartig wäre, dann wäre es das wohl gewesen angesichts meiner Vorerkrankung. Die Ärztin widersprach, das dürfte ich nicht einmal denken! Sie stellte mir vollständige Heilung in Aussicht. Heilung von was? Anschließend musste ich mich auf die Pritsche legen, und die Oberärztin ulltrabeschallte meine Brust und die Achselhöhlen. Links, wo auch der Port sitzt, war alles in Ordnung. Rechts jedoch entdeckte sie nahe der Brustwarze eine weitere Stelle, die sie untersuchen wollte. Beide Auffälligkeiten waren nicht tastbar. Die eine lokalisierte die Oberärztin bei neun die andere bei elf Uhr. Das klang weniger nach Brustkrebs sondern mehr nach Luftkrieg, feindliche Bomber im Anflug.

Die Ärztin erklärte mir, wie sie die Gewebeproben aus meiner Brust entnehmen wollte, bevor ich unterschrieb. Die Gerätschaften mir gegenüber auf dem grünen Tuch erweckten nicht gerade mein Vertrauen. Die Biopsiestanze sah aus wie ein überdimensioniertes giftgrünes Feuerzeug mit einer elend langen Nadel. Ich hatte einige Tage zuvor den Bericht einer Patientin gelesen, die von einem Arzt bei der Biopsie malträtiert wurde. Aber mir gegenüber saß eine Frau, die wusste, wie schmerzempfindlich die weibliche Brust ist. Zuerst verpasste die Oberärztin mir vorsichtig eine Spritze. Als der Bereich dann lokal betäubt war, hatte sie in der einen Hand den Ultraschallkopf. Gleichzeitig stach sie mir eine Kanüle in die Brust. In dieser führte sie das Biopsiegerät. Damit stanzte sie Proben aus meiner Brust, während sie per Sonographie die richtige Stelle ortete. Nach jedem Knall hatte ich Schmerzen, obwohl ich mehr als eine Betäubungsspritze erhalten hatte. Bei der nächsten Biopsie nah der Brustwarze war ich schon so betäubt, dass ich nichts mehr spürte. Ich fror nur noch fürchterlich und klapperte mit den Zähnen. Nach alldem erhielt ich einen Druckverband um die Brust, den ich 24 Stunden tragen sollte. Ich beschwerte mich bei der Ärztin und den Schwestern, dass sie meine Vorderseite nun ganz platt gewickelt hätten.

Beate wartete geduldig im Vorraum. Ich war heilfroh, dass sie mitgekommen war. Ihr gegenüber saß die nächste Patientin allein, und sie erschien mir sehr nervös. Zu Beate gewandt sagte ich, jetzt könne ich nicht gleich wieder nach Hause. Also fuhren wir zu einem der größeren Märkte. Inzwischen war es später Mittag, und ich hatte trotz der seelischen Belastung Hunger. Wir aßen nur eine Kleinigkeit, Beate, weil sie auf ihr Gewicht achtet, und ich, weil ich nicht mehr konnte. In der Apotheke erstand ich eine Gelkompresse zum Kühlen. Die Ärztin hatte mir einen hübschen Bluterguss prophezeit. Meine Brust würde sich bestimmt grün und blau verfärben. Wir bummelten durch die Geschäfte. So richtige Ablenkung bot der Einkauf nicht. Die Betäubung ließ langsam nach, und meine Brust begann zu schmerzen. Wir waren erst abends wieder in Demmin. Beates Auto war zum Glück repariert.

Ich hatte ein nicht so schönes Wochenende vor mir. Außer Beate, die mich beim Abschied umärmelte, wollte ich diese Last niemanden weiter aufbürden, auch meiner anderen Freundin nicht. Ihr habe ich es erst heute erzählt, sie weinte. Was mich immer neu wundert, wir sind total verschieden, uns trennt ein großer Altersunterschied, und trotzdem sind wir uns nahe. Für meine Sippe wird meine Erkrankung, je länger sie dauert, zu einer großen Bürde. Eigentlich wollte ich meinen Clan darum außen vorlassen, aber mein Bruder rief am Wochenende an. Es blubberte einfach aus mir heraus, wie aus einem Teekessel der unter zuviel Dampf steht. Meinen Bruder traf meine mögliche neue Erkrankung schwer. Ich wollte ihn nicht verletzen und tat es doch, indem ich es ihm erzählte. Diese Krankheit verwundet nicht nur mich sondern auch alle die, die mir nahe stehen.

Am Montag sollte das Ergebnis der Biopsie feststehen. Weil mein Telefon stumm blieb, rief ich in Greifswald an. Ich erfuhr nur, dass die Befunde grenzwertig wären, und in der Pathologie noch niemand zu einer klaren Aussage fähig. Es müßte weiter untersucht werden, kein Ergebnis am Dienstag, kein Ergebnis am Mittwoch. Am Donnerstagvormittag rief mich die Oberärztin, wie versprochen, an. Der Pathologe könnte noch immer keinen eindeutigen Befund erstellen. Am Montag findet in Greifswald die Krebskonferenz statt, bei der auch mein Fall diskutiert wird. Dienstag würde sie wieder mit mir telefonieren. Ich müßte nach Greifswald kommen, und an mir würde rumgeschnippelt werden für einen neuen Befund. Meinem Vater sagte ich gestern morgen, die Krebse würden bei mir schon Schlange stehen, so langsam müßte ich Nummern vergeben. Was ich jetzt fühle? Eine große Leere und eine große Hilflosigkeit. Dieses Warten zermürbt und lähmt mich. Ich hatte so gehofft wieder halbwegs in ein normales Leben zurückzukönnen. Kaum habe ich mich aufgerappelt, kriege ich schon das nächste Ding vorgeworfen, das mir die Beine weghaut. Nun stehe ich wieder draußen vor der Tür, und alles steht in Frage. Was soll jetzt werden?

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