Nordlichter
Kopf
Donnerstag, 12. April 2007
Ostereierei
An einem der ersten schönen Frühlingstage spazierte ich los um die Kollegen zu besuchen, die ich vor meiner Erkrankung betreut hatte. Ich ging dahin durch den Stadtwald. Dort war alles in Aufbruchsstimmung. Die Vögel zwitscherten, und es roch so richtig nach Frühling. Im Rucksack hatte ich ein Buch über optische Täuschungen und Illusionen. Ich bin ein Fan des niederländischen Grafikers M. C. Escher. Nichts ist in seinen Werken so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Der Kollege, der mir das Buch geliehen hatte, arbeitet jedoch verkürzt. Freitags ist er nie da, was ich nicht wusste. Er nutzt diesen Tag, um Besorgungen zu erledigen und den Menschen nahe zu sein, die ihm wichtig sind. So legte ich das Buch auf seinen Schreibtisch und begrüßte die anderen Kollegen. Sie versicherten mir, ich würde gut aussehen, nicht mehr so krank. Diese Jahreszeit ist bestens geeignet zum Genesen und für einen neuen Anfang.

Primel

Es wird Frühling, aber bis jetzt konnte ich mich noch nicht daran erfreuen. Als ich vor über einem Jahr in der Greifswalder Uniklinik auf der Wachstation lag, hatte irgendjemand vergessen mich zu melden. Ich bekam meinen Brei nicht. Der Arzt, den ich fragte, sagte mir, man müsse sparen. Natürlich wollte ich wissen, warum ausgerechnet an mir. Ich würde im Sparbett liegen, war die Antwort. Selbstverständlich war das nur Spaß! Der Doktor versicherte mir, dass man die Patienten in der Wachstation ordentlich versorgen würde. Noch müsse an ihnen nicht gespart werden. Ich bekam meinen Brei.

Jetzt schien ich wieder im Sparbett zu liegen, diesmal bei der Agentur für Arbeit, und Spaß war das auch keiner. Wer wie ich einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt hat, der bekommt, nachdem das Krankengeld abgelaufen ist, Leistungen der Agentur für Arbeit, bis er seinen Rentenbescheid in den Händen hält. Für mich hieße das, ich erhalte AlG I, bis die Rente entschieden ist. Als Kunde wurde ich per Brief zu einem Gespräch über meine Angelegenheiten bestellt. Die Schreiben der Agentur, nie ohne ihre Rechtsfolgenbelehrungen und Aufzählung der Paragrafen nach Sozialgesetzbuch, haben ein gewisses Einschüchterungspotenzial. Bin ich denn wirklich so eine Plage, dass man mir drohen muss? Mein einziges Verbrechen besteht darin, unplanmäßig an Krebs erkrankt gewesen zu sein und infolge dessen noch nicht arbeiten zu können. Die Mitarbeiterin eröffnete mir, sie hätte ein Dokument vom ärztlichen Dienst ihrer Agentur erhalten. Gemäß diesem Gutachten nach Aktenlage könne ich täglich wieder volle sechs und mehr Stunden arbeiten. Zwar wäre mein Leistungsvermögen auf Dauer eingeschränkt, aber nicht auf unter 15 Wochenstunden gemindert. Mit dieser Einschätzung würde mein Bezug des ALG I erlöschen. Dieses Gutachten verschlug mir die Sprache. Sechs und mehr Stunden arbeiten zu können wäre das, was ich mir wünsche. Leider bin ich dazu noch nicht in der Lage und immer noch krank.

Also protestierte ich, das könne nicht stimmen, und wedelte mit einer Akte. Zwei Tage vorher hatte ich ein Schreiben vom Rentenversicherer erhalten. Dort wurde ich für voll erwerbsgemindert erklärt, der Zeitpunkt und die Höhe der Rente standen nur noch nicht fest. Wie die zuständige Mitarbeiterin mir telefonisch erklärte, könnte die Berechnung meiner Rente etwas dauern. Wer die volle Erwerbsminderungsrente erhält, kann täglich nicht mehr als zwei Stunden arbeiten. Ich fühlte mich auch nicht besser, als ich nebenbei erfuhr, ich wäre nicht die einzige, bei der der Agenturarzt so offensichtlich zuungunsten des Kranken entschieden hatte. Gut, die Agentur für Arbeit muss sparen, aber warum ausgerechnet an mir? Ich hoffe, der ärztliche Gutachter, der mich als voll arbeitsfähig einstufte, konnte wenigstens ruhig schlafen. Ich konnte es jedenfalls nicht mehr, denn der Verlust des Arbeitslosengeldes bringt einige gravierende Nachteile mit sich.

Ich machte mit diesem Problem nicht nur mich wild, sondern versetzte meine Sippe und die Freunde in Aufregung. Mein Hausarzt sagte mir, für ihn wäre ich krank, bis mein Rentenbescheid käme. Diese Krebserkrankung mit allen Nebenwirkungen allein zu verkraften täte mir nicht gut, meinten die Schwestern in der Praxis. Sie wollten mich unbedingt verkuppeln, nur hatten sie keinen geeigneten Kandidaten auf Lager. Mich an den Mann zu bringen ist wohl ein aussichtsloses Unterfangen. Es spricht zuviel gegen mich. Wer reißt sich freiwillig eine kranke Frau an den Leib? Was spräche für mich?

Mein Osterfest, das ich in Berlin bei meiner Großfamilie verbrachte, war kein entspanntes. Sie versuchten mich, so gut es ging, abzulenken. Mein kleiner Neffe stellte liebenswürdigerweise fest, ich wäre sein Freund. Der kleine Zwerg wächst von allen geliebt und umsorgt auf, und wird den allerbesten Start in sein Leben haben. Von der Agentur für Arbeit und ihren ärztlichen Gutachtern weiß er nichts, und das sei auch genauso fern von ihm wie jede schlimme Erkrankung. Es reicht, wenn ich sie habe.

Aufregung ist natürlich Gift für meinen Hintern. Aber mir hatte es ja auch den Appetit verhagelt. So spüre ich die Auswirkungen auf meine Rückseite erst jetzt. Inzwischen bin ich dazu übergegangen nicht gleich zu rennen, wenn es hinten rummurt. Dank Beckenbodengymnastik klappt das immer öfter. Nur Stress kann ich keinen gebrauchen. Nach Ostern lag ein großer Umschlag im Briefkasten, der lang erwartete Rentenbescheid. Ich bin jetzt Erwerbsminderungsrentnerin bis zum Juni 2008. Somit gibt es erstmal Entwarnung, und ich kann mich um meine Gesundung kümmern.

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