Nordlichter
Kopf
Samstag, 6. Januar 2007
Wickeln und andere Techniken
Ich hoffe, Ihr habt Euch auch im neuen Jahr wieder zahlreich vor dem Bildschirm versammelt, um meine Artikel zu lesen bzw. zu hören. Wie war Euer Weihnachtsfest? Ich konnte meines, wie gehofft, in Berlin verbringen und viele aus meinem Familienclan umärmeln. Bei jeder Umarmung wurde mir die Brille aufs Auge gedrückt, und ich musste die Gläser säubern. Ich habe an diesem Weihnachtsfest die Brille oft putzen müssen.

Die meiste Zeit war ich bei den Eltern. Gleich nebenan wohnt mein Stiefbruder mit seiner Familie. Wir füllten einen roten Sack mit Geschenken und stellten ihn dort vor die Tür. Dem kleinen Wicht in geringelter Strumpfhose und Bob-der-Baumeister-T-Shirt, der staunend geöffnet hatte, erklärten wir, der Weihnachtsmann hätte den Sack dort hingestellt. Aber er hätte heute so viel zu tun und wäre gleich zum nächsten Kind gegangen. Der Onkel musste helfen den Sack in die Stube zu schleppen. Sieben Erwachsene versammelten sich um die Kaffeetafel und beobachteten ein Kind. Es war ein wenig wie bei Schneewittchen, nur gab es hier einen einzigen Zwerg. Der musste immer wieder ermuntert werden sein Spiel zu unterbrechen und das nächste Päckchen zu öffnen. Schließlich wollte jeder der Großen wissen, ob sein Geschenk auch Anklang fand.

Begeistert spielte der Wicht Memory gegen seinen Vater, wobei er wiederholt gewann. Der Onkel erklärte daraufhin zur Belustigung der Anwesenden, der Vater wäre bei dem Wettstreit an seine Grenze angelangt. Was dieser mit einem grimmigen Blick quittierte. Die Memorykarten wurden erstmal beiseitegelegt, angeblich um das Kind nicht zu überanstrengen. Der Vater deutete auf den Berg zerknülltes Geschenkpapier. Als wir so klein waren, erinnerte er sich, musste das Geschenk vorsichtig vom Papier befreit werden, das anschließend teilweise auch gebügelt und wiederverwendet wurde. Gab es damals irgendeinen Engpass?

Der kleine Wicht jedenfalls war zufrieden. Der Weihnachtsmann hatte ihm seine Wünsche erfüllt. Beweis genug, dass es den Geschenkebringer wirklich gibt. Wenn man noch keine drei Jahre alt ist, dann glaubt man an den Weihnachtsmann und andere illustre Gestalten. Robbie Williams oder Paris Hilton spielen vielleicht bei den Teenie-Cousins und Cousinen eine Rolle. Hier jedoch ist Bob der Baumeister der große Held, denn der werkelt genauso viel wie der Opa in seinem Schuppen. Falls es im heimischen Wohnzimmer beim Spielen zu langweilig wird, und der Papa wieder einmal an seine Grenzen stößt, dann flüchtet man eben kurz zu den Großeltern nach nebenan. Dort ist es natürlich viel interessanter. Oma und Opa reagieren auch gelassener als die eigenen gestressten Eltern.

Nur die Tante hatte so ihre liebe Not den hüpfenden Wicht aufs Foto zu bannen. Der andere Sippennachwuchs besteht fast ausnahmslos aus Teenies, die beim Knipsen ihre Hände vors Gesicht halten. Gewöhnlich sind sie aber leicht zu überlisten. Wenn ich hier nicht nur blonde Kinderschöpfe in Draufsicht fotografieren wollte, musste ich meinen Apparat anders einstellen. Übrigens ich knipse immer noch auf die altmodischen Art. Ich presse mir die Kamera vors Gesicht und spähe mit dem unbebrillten Auge durch den Sucher. Die neumodische Knipserei mit weitausgestreckten Armen ist einfach nichts für mich. Meine Zwergenfotos durfte ich gleich auf den großelterlichen PC übertragen. Dann erschien die Mutter des Winzlings um ihr Kind einzusammeln. Sie war so gar nicht begeistert als sie hörte, ihr Sohn wolle nur ganz kurz mitkommen und dann gleich wieder zurück. Und Abendbrot wollte er auch lieber bei den Großeltern essen. Schließlich roch es gut in Omas Küche.

Schade, irgendwann ist das harmonischste Weihnachtsfest zu Ende. Mein Bruder fuhr mich zurück nach Demmin. Silvester verbrachte ich allein zu Hause. Das war mir recht angenehm, denn meine Rückseite zeigte, dass es sie auch noch gab. Ich hatte wieder einmal viel zu wischen. So musste ich meinen blutig entzündeten Hintern mit ins neue Jahr nehmen. Zurücklassen ging ja schlecht. Dieses Problem bleibt mir also immer noch.

Leider konnte ich nicht wie versprochen vor dem Jahreswechsel superenge Strümpfe anprobieren. Im Sanitätshaus sagte man mir, sie wären auf einer Rügenrundreise. Irgendjemand hatte meine Socken nach Bergen geschickt. Ich durfte daher meine Rolltechnik weiter vervollkommnen. Morgens einwickeln, abends auswickeln. Zum Glück spielte das Wetter mit. Ich bin sicher, die Klimaerwärmung findet nur meinetwegen statt. Mit den Mumienfüßen kann ich nur Halbschuhe tragen, mir passen keine Stiefel.

Gleich im neuen Jahr hatte ich Lymphdrainage. Von der Physiotherapie hopste ich die Treppe hinunter zum Sanitätshaus. Meine Beinkleidung hatte inzwischen von der Insel nach Demmin gefunden, und ich durfte sie anprobieren. Die Mitarbeiterin, die mir dabei half, streifte sich dazu Gummihandschuhe über. Was mich unwillkürlich an eine Darmcheck denken ließ. Aber es bestand keine Gefahr, dass ich meinen Lieblingsuntersuchung über mich ergehen lassen musste. Die Socken paßten, wie für mich gemacht, und das waren sie ja auch. Da ich mit dem Kassenmodel nicht zufrieden war, durfte ich noch ein wenig dazubezahlen. Beschwingt und in neuen Strümpfen stolzierte ich nach Hause.

Kurz vorm Bäcker kam mir ein Mann mit am Oberkopf deutlich gelichtetem Haaransatz entgegen. Meinen Vornamen rufend stürzte er auf mich zu und ergriff meine Hand. Ein alter Bekannter. Von gemeinsamen Freunden hatte er von meiner Krankheit erfahren. Nun war er erfreut zu hören, dass es mir besser ginge, und ich nur noch mit den Folgen meiner Erkrankung zu tun hätte. Er meinte, ein großes Kreuz in die Luft malend, man hatte mich schon abgeschrieben. Nun, ich hatte ja bereits meiner Freundin erklärt, als sie die Leute aufzählte, die mir für meine Leberoperation Glück wünschten. "Macht euch keine falschen Hoffnungen, so schnell werdet ihr mich nicht los." Und in diesen Strümpfen schon gar nicht, neckisch diese Langschäfter und sehr anhänglich.

Am Abend hatte ich meine liebe Mühe, sie wieder von den Beinen zu bekommen. Es gelang mir nur schweißgebadet und nach etlichen Verrenkungen. Meine Anstrengungen am darauffolgenden Morgen graziös in die Gummischläuche zu schlüpfen blieben leider ohne Folgen. Ich musste wieder wickeln, und begab mich zur Nachhilfe ins Sanitätshaus. Die Mitarbeiterin, die mich dort unterrichtete, trägt selbst Kompressionsstrümpfe. Sie hatte mir, als ich noch mein Stoma hatte, beigebracht, mich allein zu versorgen. Im Gegensatz zum Beipackzettel und der Anleitung im Internet ist ihre Methode viel leichter. Einfach den Gummistrumpf in beide Hände nehmen, den Fuß hineinstecken, und dann das Gewebe Stück für Stück hochziehen. Dazu muss man an den Händen freilich die richtigen griffigen Gummihandschuhe tragen. Die habe ich jetzt. Zwar brauche ich morgens eine Weile, aber zuletzt sitzen die Socken.

So liebe Kinder, falls ich weiterhin in meine Langschäfter komme, Lymphdrainage erhalte, und meine Füße infolgedessen schmal bleiben, passen mir auch wieder die Stiefel. Dann steht einem Kälteeinbruch während Eurer Winterferien am Ende nichts mehr im Wege.

Permalink