Nordlichter
Kopf
Sonntag, 5. November 2006
Wintereinbruch
Seit Dienstag bin ich wieder zu Hause. In Plau am See war noch schöner Spätherbst und hier in Demmin am nächsten Tag schon tiefer Winter. Brr!

Um gleich die brennendste Frage als erstes zu beantworten, nein, ich habe mir keinen Kurschatten zugelegt. Das muss wohl in der Familie liegen. Mein Vater hatte seine Kur ja auch ohne Schatten überstanden. Den größten Teil der Insassen der Plauer Kurklinik bildeten ältere Patienten, die ihre Ehepartner mitgebracht hatten. Schön blöd, stellten die Schwestern meiner Hausarztpraxis fest. Zur nächsten Kur wollten sie mich nur dorthin schicken, wo ein Schatten fest zum Therapieplan gehört.

Unterdessen leide ich an dem, was Herr Heine als Zahnweh im Herzen bezeichnete. Mit der Kur hat das nichts zu tun, ich hatte das schon vorher. Wieder mitgebracht habe ich auch das schmerzhafte Kribbeln in Händen und Füßen, die Missempfindungen in den Fingern, die dicken Büffelhufe und den revoltierenden Darm. Trotzdem war die Kur ein kleiner Erfolg. Ich habe 3 kg zugenommen und bin körperlich ein wenig leistungsfähiger. Um das unter Beweis zu stellen, pilgerte ich am Donnerstag zu meinen Arbeitskollegen, per pedes apostolorum. Vor der Kur wäre ich unterwegs zusammengebrochen. Jetzt brauchte ich gerade mal sieben Minuten mehr als zu gesunden Zeiten. Das Laufbandtraining hat sich ausgezahlt!

Vom 20. November an teste ich mein Durchhaltevermögen am Arbeitsplatz. Dieser Versuch nennt sich Hamburger Model. Ich fange mit zwei Stunden an. Mehr wollte mir mein Hausarzt erstmal nicht genehmigen. Meine Arbeitskollegen richten derweil für mich einen stressfreien Schonarbeitsplatz ein. Das heißt, ich darf mich weder mit Servern noch mit Nutzern rumschlagen, sondern solche Aufgaben übernehmen, zu denen die anderen durch das Tagesgeschäft nicht kommen. Ohne Termindruck werde ich ein wenig mit Makros und VBA programmieren. Wenn es mir sehr gut gänge, könnte ich die tägliche Arbeitszeit auf vier Stunden hochschrauben. Realistischer sind aber drei Stunden schon wegen meines unberechenbaren Hinterns.

Mit den Folgen der Therapie muss ich fertig werden, ob ich nun zu Hause sitze oder arbeiten gehe. Ich habe sie auf jeden Fall. Dem Psychologen hatte ich bei unserem letzten Gespräch erklärt, meine körperlichen Fähigkeiten würde ich mit 3- bewerten die Psyche hingegen mit einer 1. Wenn ich hier in meiner Wohnung hocke, dann kreisen meine Gedanken doch immer nur um die Krankheit. Das hatte ich lange genug. Auf Arbeit wäre ich wenigstens für einige Stunden abgelenkt. Zumal ich sicher sein kann, dass mich meine Kollegen nicht mobben, sondern unterstützen. Den Antrag auf Schwerbehindertenausweis habe ich inzwischen auch abgeschickt. In Plau hat man mir beim Ausfüllen geholfen. Wenn ich den dann habe, stehe ich unter Naturschutz und bekomme fünf Tage Urlaub mehr. Als Ausgleich für die Gebrechen, mit denen ich mich rumschlagen muss, ist das nur ein kleiner Trost.

Die absolute Schwachstelle ist meine unkalkulierbare Rückseite. Mal kann ich mich relativ frei bewegen, dann wieder trennt ich mich nichts von der Toilette, und ich trage vom Dauersitzen einen roten Rand um den Po. Zu meinem Überlebenspack gehören eine Rolle zartestes Toilettenpapier, Vorlagen und Einmalwaschlappen. Ohne diese Ausrüstung gehe ich nicht aus dem Haus. In der Wohnung langen zum Schutz für meine Unterwäsche normale Vorlagen. Wenn ich unterwegs bin, sind solche mit Auslaufschutz besser. Ich teste da noch verschiedene Varianten. Mit Windelhosen mag ich nicht rumrennen, die tragen auf, und im Moment sind Pumphosen nicht modern.

Richtig hinderlich sind auch noch immer die Missempfindungen in den Fingern. Ich habe da einfach kein Gefühl mehr drin. Es ist so, als würdet Ihr Fingerhandschuhe aus dickem Stoff tragen. Versucht damit mal Kartoffeln zu pellen, Äpfel zu schälen, eine Buchseite umzublättern, eine Getränkeflasche mit Drehverschluss zu öffnen oder Euch die Schuhe zuzubinden. Ein Schräubchen einzudrehen oder Garn einzufädeln kann ich glatt vergessen. Ich wäre ja nicht mal in der Lage eine Nadel zwischen den Fingern zu halten.

Trotz meiner Handikaps geht es mir gut. Der Psychologe sagte mir zum Abschied, ich sollte mich wieder dem Leben aussetzen mit seinen Freuden aber auch mit seinen Enttäuschungen. Ich bin ganz begierig darauf.

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