Nordlichter
Kopf
Dienstag, 10. Oktober 2006
Abgesang
Der Koffer ist gepackt. Morgen werde ich abgeholt, und dann geht es in die Kurklinik nach Plau am See zur Anschlussheilbehandlung. Diese AHB sollte ich im Frühjahr haben, aber meine Lebermetastase kam mir dazwischen. Nach drei Operationen, einer Strahlen- und zwei Chemotherapien wird es langsam Zeit für mich wieder auf die Beine zu kommen. In Plau werde ich aufgepäppelt.

Meine Mitpatientin aus dem Zweimannzimmer in der Uniklinik Greifswald ist schon seit letztem Donnerstag in Plau. Wie es ausschaut, scheint sie sich da zu langweilen. Sie hat mich inzwischen schon viermal angerufen. Entrüstet hat sie mir berichtet, die anderen Patienten würden sich nur über ihre Krankheiten unterhalten. Das klingt nach Wartezimmergespräche. Ich fahre dahin um gesund zu werden, nicht um meine Leiden zu kultivieren. Ein Platz am Tisch meiner Mitpatientin ist schon für mich reserviert. Falls sie keine Behandlung hat, wird sie mit Winkelement am Eingang stehen, wenn ich dort ankomme.

Mit meiner Freundin war ich am Montag vorige Woche in Demmins Sportgeschäft. Ich brauchte einen Badeanzug und Sportschuhe für meine aufgequollenen Hufe. Die Auswahl an Badebekleidung war nicht groß, da ich nicht als Werbefigur für eine Sportmarke herumlaufen wollte. Es gab nur zwei Badeanzüge ohne Schriftzug auf Brust oder Rücken. Einen lehnte meine Freundin wegen omamäßigem Design ab, mit dem anderen verzog ich mich in die Umkleidekabine. Der Verkäuferin hatte ich vorher gesagt, ich bräuchte Sportschuhe für meine dicken Füße. Der Badeanzug in Größe 36 passte. Ich monierte nur, dass ich damit vorne etwas platt aussehen würde. Meine Freundin stellte brutal fest, ich wäre vorne platt. Die Verkäuferin hatte derweil ein ganzes Bataillon Schuhe auf dem Tresen aufgebaut. Auch mit Schuhanzieher kam ich in keinen einzigen hinein. Ich schlug vor statt Leder, welche mit Textilanteil zu versuchen. Jetzt habe ich geräumige knallrote Sportschuhe und sehe damit ein bisschen aus wie Clown Ferdinand.

Am Donnerstag hatte ich einen neuen Termin in der onkologischen Sprechstunde. Weil mein Taxiunternehmen zu diesem Zeitpunkt weder Fahrer noch Auto zur Verfügung hatte, holte mich einer meiner Arbeitskollegen zur EDV ab. Von dort lief ich zum Krankenhaus. Mein Onkologe bestätigte mir noch einmal, dass nach CT und Röntgen alles in Ordnung wäre. Er sprach von einer kleinen Zyste in der Leber. Aber das hatte schon die Kernspintomografie in Greifswald ergeben. Ich musste meine angeschwollenen Hufe vorzeigen. Weil der linke deutlich breiter war als der rechte, bekam ich für den nächsten Tag einen Termin zum Röntgen wegen Thromboseverdacht. Die Schwester durfte mir die allseits beliebte Thrombosespritze in den Bauch pieksen. Ich erzählte ihr, ich hätte inzwischen 5 kg zugenommen. Sie meinte das würde man sehen, und ich hätte wieder so eine Andeutung von Hintern. Aber ich sollte ja rechtzeitig mit dem Dickerwerden aufhören. Ähnlich besorgt äußerte sich vor kurzem mein Vati. Kaum nehme ich drei Gramm zu, schon haben alle Angst, ich entwickle mich zur fette Qualle!

Vom Wartebereich der Röntgenabteilung holte mich die mir wohlbekannte Assistentin ab. Während ich in der Intensivstation des Kreiskrankenhauses lag, hatte sie meinen Bauch geröntgt. Ihre Auftritte waren immer sehr erheiternd. Den neugierigen Zivi hatte sie mit dem Schlachtruf "Schwangere und solche, die es werden wollen, raus!" aus dem Zimmer gedrängt, bevor sie mein Innenleben ablichtete. Jetzt schob sie mir eine Schüssel mit brühheißem Wasser neben die Bank, in die ich meinen linken Huf steckte. Nach einer Weile meldete ich, mein Fuß wäre jetzt gar. Ich musste mich auf die Pritsche legen und der Arzt beklopfte mit der Hand meinen Fuß. Endlich schien er etwas gefunden zu haben, denn er verlangte von mir, ich müsse nun ganz tapfer sein. Ich hasse es, wenn Ärzte so was sagen, denn dann wird es für den Patienten mehr als nur unangenehm. Die Assistentin hatte an die Pritsche Haltegriffe anmontiert, die ich jetzt mit den Händen umkrallte. Die Spritze steckte wie ein Pfeil unterhalb des großen Zehs. Aber der Arzt schien glücklich zu sein, die Stelle für das Einfüllen seines Kontrastmittels gefunden zu haben. Nach dem Röntgen sagte er mir auch gleich das Resultat. Er konnte kein Anzeichen für eine Thrombose finden. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich hatte schon befürchtet, nicht zur Kurklinik fahren zu können.

Meine Tante freute sich für mich, dass ich nach Plau fahren würde. Da könnte ich dann viele treffen, denen es so ging wie mir. Sie war etwas pikiert, als ich ihr sagte, ich hätte keinen weiteren Bedarf noch mehr Leute kennenzulernen, die an der gleichen Krankheit litten wie ich. Während der langen Zeit, die ich nun krank bin, habe ich genug Patienten kennengelernt. Einige von ihnen waren weit schlimmer dran, als ich es bin. Aber es reicht nun. Ich will von der Welt der Kranken langsam ins normale Leben zurück. Frei von meinem Krebs werde ich ohnehin nie sein, denn ich spüre die Folgen. Aber ich will mir deshalb nicht den Rest meines Lebens vermiesen. Ich will endlich durchstarten und das Thema Krankheit hinter mir lassen. Ein Leben in der Warteschleife, wie jemand aus dem Stoma-Forum sagte, behagt mir nicht. Ich möchte meine Krebserkrankung nicht als großes Desaster erleben sondern als zweite Chance. Genauso wie ich es der alten Dame mit dem Nierenkrebs vor meiner ersten Operation gesagt habe.

So, meine Lieben, wir müssen ein Weilchen ohne einander auskommen, Ihr ohne mich und ich ohne Euch. Im Blog und im Podcast ist jetzt Sendepause, bis ich wieder zurück bin.

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