Nordlichter
Kopf
Sonntag, 16. Juli 2006
I want it all!
Die Hitze der vergangenen Tage machte nicht nur mir zu schaffen. Der kleine Mann, der beteuerte, ich wäre sein Sonnenschein, lag träge auf seinem Sessel. Die meiste Zeit der Therapiesitzung schlief er, ohne zu schnarchen. So hatte ich ausnahmsweise mal meine Ruhe.

Wir hatten einen neuen Mitpatienten, der, wie er erzählte, Fernfahrer bei einer holländischen Firma ist. Sein Chef betrachtet ihn als Mensch und nicht als Kostenfaktor. Von Entlassung wegen seiner Erkrankung ist keine Rede. Ich berichtete, wie meine Arbeitskollegen sich seit über einem Jahr um mich kümmern. Der Normalfall ist das wohl nicht. Der Patient lebt jetzt ohne Magen. Bei einer Routineuntersuchung wurde der Krebs bei ihm gefunden. Wie bei mir war dann nach der ersten Therapie eine Metastase festgestellt worden. Er hat daran stark zu knapsen und bejammerte die ganze Zeit, dass seine Pläne damit zunichte sind.

Was hilft es sich an Dingen aufzureiben, die man doch nicht ändern kann? Ich hatte ja auch gedacht, ab Sommer könnte ich wieder arbeiten. Die große Geburtstagsfeier ist abgesagt. Ich fahre schon das zweite Jahr nicht in Urlaub sondern nur ins Krankenhaus. Was würde es mir bringen, dem Vergangenen oder dem was wäre wenn nachzutrauern? Ich brauche mein bisschen Kraft für andere Dinge. Die zweite Chemotherapie durchzustehen, ist erst einmal wichtiger. Geburtstage feiern, arbeiten gehen und in Urlaub fahren kann ich danach ja immer noch.

Ich habe in der Drogerie eine CD mit alten Queensongs erstanden. Leider nicht mit der Originaltruppe sondern mit einem Freddie-Mercury-Imitator. Der Kraft der Songs tut das keinen Abbruch. Die Musik von Queen ist genauso, wie ich mich im Augenblick fühle, sehr lebendig. Die ersten vier Titel würde ich so unterschreiben, „We are the Champions“, „Don’t stop me now“, „We will rock you”. Besonders der vierte Song „I want it all and I want it now.” Ist mir aus der Seele gesprochen. Aber wie das so ist beim Alleswollen, es ist immer noch mehr, als ich im Moment verkrafte. Das Ende vom Lied ist dann, dass ich auf dem Sofa hocke und japse. Leider kann ich nur einen Teil von dem erledigen, was ich eigentlich möchte.

Auch zum Podcasten bin ich nicht so recht gekommen. Ich leider wieder unter schmerzhaften Blähungen. Die Winde finden den Ausgang nicht und kollern durch meinen Bauch. Der Tatverdacht der Folter ist gegeben. Ich kann schlecht ins Mikro sprechen, wenn's mir in den Darm kneift. Das andere Problem ist meine große Müdigkeit. Für mich ist soviel schlafen nicht typisch. Ich brauche morgens jetzt noch länger als sonst, um überhaupt in Gang zu kommen. Nachmittags spätestens um 14.00 Uhr beginnen meine Augenlider verstärkt zu klappern. Ich kann der Erdanziehung nichts mehr entgegensetzen und sinke ermattet auf mein Bett. Zu meiner Verwunderung schlafe ich so gut wie immer. Welches Tier hält sonst noch seinen Winterschlaf im Sommer? Es ist zu befürchten, dass die nächsten Podcastepisoden nur noch aus Gähnen bestehen. Dann könnt Ihr sie ja immerhin als Einschlafhilfe benutzen.

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