Nordlichter
Kopf
Montag, 23. Januar 2006
In Greifswald
Die Klinik und Poliklinik für Chirurgie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Abteilung für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie in der Friedrich-Loeffler-Straße ist ein altes Gemäuer und wirkt bei weitem nicht so einladend wie das moderne Demminer Kreiskrankenhaus. Natürlich ist es reichlich unfair ein neues und kleines Haus einem alten großen gegenüberzustellen, aber in Deutschland werden ja üblicherweise Äpfel mit Birnen verglichen. Warum soll ich da eine Ausnahme machen?

Ich durfte meine Tasche wieder bei der netten Dame am Eingang stehen lassen. Dann schickte sie mich über den Hof zur Patientenaufnahme im Eingang A zum Gebäude gegenüber. Wenn man das Demminer Krankenhaus betritt, dann befindet sich die Aufnahme hinter der Rezeption, die mehr an ein Hotel als ein Krankenhaus denken lässt. Eine einladende Sitzgruppe lädt zum Verweilen ein. Man zieht eine Nummer und wartet, bis man aufgerufen wird. Hier in Greifswald scharren sich einige wenige Stühle um ein winziges Tischchen. Verweilen möchte der Patient hier nicht sondern schnell wieder weg.

Ein Papier am Türfenster der Patientenaufnahme warnt den Besucher vorm Betreten, er wird aufgerufen. Die Frau, die die Aufnahme verließ, sagte mir, ich könne eintreten. Also stolperte ich in den Raum hinter der Tür. Die Patientenaufnahme besteht aus zwei von einer Durchgangstür getrennte Doppelzimmer. In Demmin liegen sich die beiden Zimmer gegenüber, getrennt durch einen Flur und zwei Türen. Im Normalfall bekomme ich gar nicht mit, wer im Raum gegenüber sitzt. Hier nun musste ich den Stuhl rücken, damit die Patienten an mir vorbei ins andere Zimmer konnten. Ich erhielt neben meinen Papieren auch eine Telefonkarte.

Der Automat dazu befindet sich vor der Patientenaufnahme. Den höchsten Schein, den er annimmt, sind 20 Euronen. Wenn man nur einen Schein mit 50 hat, dann hat man ein Problem. Die Frau in der Aufnahme konnte nicht wechseln. Ich erhielt aber den Tip, gegenüber in die Einkaufspassage zu gehen. Dann war ich entlassen. Mit meinen Patientenpapieren bewaffnet ging ich zurück zum anderen Gebäude. Die nette Frau vom Eingang warf einen Blick auf die Papiere und sagte mir danach, ich müsste mich zwei Stockwerke höher begeben und anschließend rechts halten.

In Demmin liegen die Patientenzimmer für Männer und Frauen nebeneinander. Hier in Greifswald ist auch alles hübsch nach Geschlechtern sortiert. Ich gab am Schwesternzimmer meine Papiere ab und wurde gebeten, mich auf einen Stuhl im Flur zu setzen. Dort hockten schon zwei Patientinnen, offensichtlich warteten sie schon etwas länger. In Demmin wurde ich von den Schwestern gleich in mein Zimmer geführt und musste nicht auf dem Flur warten.

Die Wartezeit verkürzten mir zwei Studenten. Sie war 6. Studienjahr, er noch ein blutiger Anfänger, wie er hervorhob. Ich wurde gefragt, ob ich mich als Übungsobjekt für eine Blutentnahme zur Verfügung stellen würde. Wenn ich so nett gebeten werde, kann ich natürlich nicht nein sagen. Die Studentin erläuterte die Vorgehensweise, und der Student machte alles nach ihren Vorgaben nach. Gut, wie ich fand und ihn auch lobte. Das Setzen der Kanüle tat nicht mal weh, und einen blauen Fleck bekam ich auch nicht.

Nachdem ich ausreichend Blut gespendet hatte, kam endlich die Schwester und lotste mich in ein Zimmer. An der Tür war eine blaue Schwertlilie angebracht. Irgendwie schien es aber nicht der richtige Platz gewesen zu sein. Nachdem sie sich kurz umgeschaut hatte, führte mich die Schwester ins Zimmer nebenan. Dessen Tür zierte eine Sonnenblume. Das Patientenzimmer in Greifswald ist etwas größer als meins in Demmin war, deshalb stehen hier auch vier Betten. In Demmin waren es nur drei. Es gibt noch einen weiteren Unterschied. In Demmin teilten sich sechs Patienten eine Dusche und eine Toilette. Das Bad mit Wanne war für alle da. Hier ist Gemeinschaftsleben angesagt. Es gibt drei Toilettenboxen für alle und zwei Duschräume mit Waschbecken. In den Zimmern befindet sich keine Waschgelegenheit, in Demmin war sie vorhanden.

Die Kleiderschränke im Demminer Patientenzimmer fand ich schon recht winzig. In Greifswald zeigt sich nun, dass sich selbst das noch minimalisieren lässt. Es gibt ein gemeinschaftliches Schrankteil, in dem alle vier Patientinnen ihre Jacken und Mäntel hängen können. Daneben hat jede noch eine abschließbare Box, die an ein Bahnhofschließfach denken lässt. In diese passte gerade meine Reisetasche, die Waschtasche und mein Rucksack. Auspacken konnte ich meine Sachen nicht, dafür war kein Platz. Weil ich als letzte kam, war nur noch die oberste Box frei. Sie befindet sich für mich mit 1,68 m Körpergröße über Kopfhöhe. Wirklich sehr günstig angebracht! Wie soll ich nach der Operation, wenn es mir nicht so gut geht, an meine Sachen kommen? Ich werde wegen jedem Pups die Schwester rufen müssen. Wer auch immer der Behelfsknilch war, der diese Schränke ins Patientenzimmer stellen ließ, offensichtlich hat er noch nie nach einer Operation im Krankenhaus gelegen.

Ein Blick auf die Uhr sagte mir, es ist inzwischen schon 10.30 Uhr. Ich wollte gerade meinen Anorak anziehen und zum Besuch der Einkaufspassage starten, da betrat ein Arzt das Zimmer. Der Doktor, ein Ausländer, wollte mich über die Möglichkeiten und Risiken der Kernspintomografie aufklären. Er hatte dabei eine so drollige Art die Wörter falsch zu betonen, dass das Gespräch ganz lustig wurde. Das Wort Herzklappe sprach er so merkwürdig aus, dass ich nachfragen musste, "Was für ein Ding?"

Nach dem Gespräch konnte ich endlich zur Erkundung der Einkaufspassage starte. Ich meldete mich bei der Schwester ab, und versprach ihr wegen der Glätte ganz vorsichtig zu sein. Diese Einkaufspassage in Greifswald gleicht denen, die ich schon in anderen Städten gesehen habe. Es ist der übliche Mix aus Boutiquen, Blumenläden, Supermärkten und Fressständen. Ich steuerte zuerst den Sparmarkt an, denn es gelüstete mich nach Süßigkeiten und Cola. Die Schwestern in der Onkologie hatten mir erklärt, Cola wäre die Geheimwaffe bei Appetitlosigkeit. Ich wählte eine kleine Flasche zu 0,5 l. Wir wollen es ja nicht gleich übertreiben mit dem Appetit! Anschließend enterte ich den Zeitungsstand. Meine Linux-Zeitschriften waren in großer Auswahl vorhanden. Ich suchte mir zwei aus. Nach einem Rundgang durch die Passage trottete ich langsam zurück ins Krankenhaus.

Inzwischen war es 11.30 Uhr, und nach etlichen Schlucks aus der Colaflasche stellte sich Hunger ein. Das Essen kam kurz nach 12.00 Uhr. Ich erhielt Möhrengemüse in Mehlpampensoße vergraben, Salzkartoffeln und ein undefinierbares, plattes Etwas. Die Möhrenscheiben waren auf die englische Art zubereitet. Das hießt, sie waren wässrig und geschmacklos. Das platte Etwas konnte ich auch noch nicht bestimmen, nachdem ich es aufgegessen hatte. Es war völlig geschmacksleer. Nach dem Speiseplan sollte es Geflügelfrikadelle sein. Nun ja, für eine Frikadelle war es platt genug. An diesem Essen war nichts gelungen, nicht einmal die Kartoffeln. Außen hatten die eine leichte harte Schale, und im Innern waren sie noch roh. Ich mag nur meine Nudeln „al dente“ und das Gemüse, wenn ich asiatisch koche, noch bissfest. Aber Kartoffeln esse ich am liebsten, wenn sie gar sind. Diese Art der Kartoffelzubereitung und die Mehlpampe weckten in mir unangenehme Erinnerungen an das sozialistische Betriebskantinenessen. Die Scheußlichkeiten, die ich im Warteraum der chirurgischen Sprechstunde über das Essen im Greifswalder Klinikum gehört hatte, waren also nicht übertrieben. Ich sehnte mich nach dem Essen im Demminer Kreiskrankenhaus. Dort kocht man noch selbst und beauftragt keinen Cateringservice. In Demmin hatte ich mich immer auf das Essen gefreut. Hier werde ich es mir wohl abgewöhnen müssen.

Es gibt einen Bereich, indem sich das Krankenhaus hier und das in Demmin gleichen, das betrifft die Betreuung der Patienten. Hier gibt es genauso nette Schwestern, und auch mit den Ärzten komme ich gut klar. Ich fühle mich hier wohl, soweit man das von einem Krankenhaus sagen kann. Die Eingangsuntersuchung nahm eine nette, dunkelhaarige Studentin aus dem 6. Studienjahr vor. Beim EKG wurde sie durch ein klapperndes Geräusch abgelenkt. Es waren aber nicht die Elektroden sondern meine Zähne. „Mein Gott, Sie frieren ja!“, rief sie erstaunt aus. Sie beeilte sich, damit ich wenigstens das dünne Nachthemd wieder überstreifen konnte. Nach der Untersuchung fragte mich einer der Ärzte, ob ich kurz an der Vorlesung des Professors am nächsten Tag mitwirken würde. Die Greifswalder Klinik ist ja immer auch Ausbildungsstätte, und meine Erkrankung schien gut ins Lehrprogramm zu passen. Ich sagte zu, die drei Minuten im Hörsaal würde ich schon überstehen.

Dann wurde ich mit drei anderen Patienten ins neue Klinikum gefahren. Bei mir war eine Kernspintomografie der Leber angeordnet. Aber zuerst hieß es warten. Das ist übrigens die Haupttätigkeit des Patienten in medizinischen Einrichtungen, das Warten auf Untersuchungen, Behandlungen, Ärzte, Schwestern, Operationen, das Essen oder was auch immer. Dann lag ich endlich in der Röhre mit Gewichten auf dem Bauch und Kopfhörern an den Ohren. Aus diesen drangen unaufhörlich lang vermisste Oldies. „I wanna love sombody like you …” Am liebsten hätte ich in der Röhre getanzt, aber ich musste ja ganz still liegen. Da es mir zu blöd war, den blauen Strich über mir anzustarren, schloss ich ganz einfach die Augen. So ließ es sich gut aushalten. Ab und zu erhielt ich Kommandos zum Ein- und Ausatmen und zum Luftanhalten. Dann setzte ein Höllenlärm an. Ich wartete sehnlichst auf das Kommando zum Weiteratmen und auf ein Ende des Krawalls. Nach einer Weile wurde ich ein Stückchen aus der Röhre gefahren. Die Assistenten ergriff meinen rechten Fuß und fragte, ob ich noch lebig wäre. Das Audiosystem funktionierte nicht richtig. Ich konnte sie zwar hören aber sie mich nicht. Nach einer letzten Untersuchung konnte ich die Röhre endlich verlassen. Inzwischen war ich wieder mal ausgelaufen. Ich nehme an durch die Gewichte auf meinem Bauch. Mein Unterhemd, das ein riesiger brauner Fleck zierte, musste ich ausziehen. Im Röntgenraum half man mir mit einem großen Packen Zellstoff aus. Der Röntgenarzt sagte mir, außer der einen bekannten Metastase hätte er nur eine kleine Zyste gefunden. Aber das sei nichts Gefährliches. Ich war erleichtert.

Im Krankenhaus hatten meine Mitpatientinnen inzwischen dafür gesorgt, dass mein Abendbrot nicht abgetragen wurde. Ich musste mir erst ein neues System aufkleben und mich umziehen, ehe ich meinen Hunger stillen konnte. Am Abend setzte sich dann der Stationsarzt, schon fertig für den Heimweg umgezogen, an mein Bett. Er behauptete, wir hätten uns schon kurz auf dem Flur gesehen. Beim besten Willen, ich konnte mich nicht daran erinnern. Er sagte, er hätte da einen weißen Kittel angehabt, und ich hätte ihn wohl übersehen. Das hatte ich in der Tat. Der Doktor sah übrigens in Zivil vorteilhafter aus als im weißen Kittel, wie vermutlich die meisten Menschen. Er wollte mich für einen Auftritt in der Vorlesung des Professors werben und war erfreut, dass ich schon zugesagt hatte. Solange ich nicht im Fernsehen auftreten soll oder von Bild interviewt werde, bin ich für jeden Spaß zu haben.

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