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Freitag, 9. Dezember 2005
Das Demminer Kreisheimatmuseum
Freitag, 9. Dezember 2005, Kategorie: 'unterwegs'
Meinen Arbeitskollegen verdanke ich eine kurzzeitige Flucht aus meiner Hausgruft. Am Mittwoch feierten sie ihre Weihnachtsfete am Hanseufer, und mich hatten sie nicht vergessen. Durch meine Krebserkrankung bin ich zu unfreiwilligem Hausarrest verdammt. Jede Ablenkung ist da willkommen. Laufen zum anderen Ende der Stadt brauchte ich natürlich auch nicht, mein Chef spielte den Chauffeur.
Trotz meiner Erkrankung werde ich nicht als Aussätzige behandelt. Ich erfahre viel Hilfe und Unterstützung durch meine Arbeitskollegen. In diesen Zeiten der Entsolidarisierung, Antiempathiekampanien und hochgelobter Eigenverantwortung, sprich: jeder ist sich selbst der nächste, ist das bei weitem keine Selbstverständlichkeit. Ganz klar gesagt, ohne meine Arbeitskollegen würde ich die Einschränkungen, die meine Erkrankung mit sich bringt, wohl kaum so gut bewältigen. Meine Großfamilie residiert im fernen Berlin. So bin ich hier zwar allein, aber nicht von aller Welt verlassen. Für einen Krebspatienten geht es mir trotz allem recht gut, ich habe keinen Grund zum Jammern.
Kaum am Hanseufer angekommen, fiel mir meine oberste Chefin vor lauter Freude mich zu sehen um den Hals, und ich wurde erst einmal umärmelt. Unser ganzer Trupp sammelte sich im Foyer am Eingang zum Museum. Im Demminer Kreisheimatmuseum sollte der erste Teil unserer Weihnachtsfeier stattfinden, für den ich auch mein Kommen zugesagt hatte.
Die Museumsräumlichkeiten befinden sich in den obersten Geschossen des Speichers. Als Gesunde bin ich die Treppe immer hochgestürmt, aber das entfiel ja jetzt. Die Treppe führt wie in einem Turm immer im Kreis, wenn man oben ist, hat man einen Drehrumbum. Diejenigen unter meinen Kollegen, die an Platzangst leiden, hatte eh keine Wahl. Sie mussten den beschwerlichen Aufstieg wagen.
Wir anderen stauten uns vor dem winzigen Fahrstuhl. Laut Hersteller war er angeblich für fünf Personen ausgelegt. Testen wollten wir das lieber nicht. Ich schätze, wenn ein Rollstuhlfahrer mit seinem Gefährt hineinrollt, muss der Aufzug wegen Überfüllung geschlossen werden. Der Hersteller hatte mit seiner Personenangabe wohl fünf magersüchtige Models im Sinn.
Die Ausstellungsfläche des Demminer Kreisheimatmuseums besteht aus zwei Räumen. Der linke größere beherbergt die ständige Ausstellung, der rechte kleinere die Wechselausstellung. Das beste was ich bis jetzt in der Wechselausstellung gesehen habe, waren Gemälde der aus Demmin stammenden Malerin Ilse von Heyden-Linden, anlässlich ihres Geburts- oder Todestag. Welcher von beiden weiß ich nicht mehr. Ich war nur sprachlos überrascht, was dieses Provinznest Demmin für eine tolle Malerin hervorgebracht hat. Leider ist sie fast völlig unbekannt, der größte Teil ihres Werkes befindet sich in Privatbesitz. Einiger ihrer Gemälde gehören dem Demminer Kreisheimatmuseum und der Stiftung Pommern in Kiel. Im Augenblick werden in der Wechselausstellung Fotografien und Gemälde von Gesine Fröhlich aus Sommersdorf gezeigt.
Frau Köhn, die das Museum leitet, führte uns durch die ständige Ausstellung. Wir begannen ganz links in der Frühzeit. Auch, wenn es heute etwas unwahrscheinlich klingt, die Gegend um Demmin ist uraltes Siedlungsgebiet. Wir verdanken dies unseren drei Flüssen Trebel, Tollense und Peene, die in Demmin zusammenfließen. Zur Freude der ganzen Truppe durfte unser jüngster und körperlich größter Arbeitskollege in eine Lure blasen. Eine Lure ist ein altes nordisches Blasinstrument aus Bronze. Das Demminer Museum besitzt zwei davon. Der Ton, den unser Kollege dem Instrument entlockte, klang ein wenig nach Posaune. Neben Gefäßen und Werkzeugen aus der Vorzeit, konnte auch ein Stück eines Mammutzahns bewundert werden.
Die nächste Abteilung war das Mittelalter. Demmin war ja bekanntlich Mitglied der Hanse und führt heute die Bezeichnung Hansestadt im Namen. Vermutlich erlebten die Bürger Demmins damals die größte Blütezeit ihrer Stadt. Mir fiel neben den schönen Zinngefäßen besonders ein überdimensionales Riesenschwert auf. Das sah so richtig gruselig nach Rübe ab aus. Ein Blick in die Vitrine zeigte, ich hatte mich nicht geirrt, es war das Richtschwert des Henkers.
Ich ging flink um die Ecke zur Neuzeit. Aus meinem Stöbern in alten Zeitungen im Archiv des Museums weiß ich, dass in der Zeit um 1850 viele Bürger Demmins ihre Stadt verließen und nach Amerika auswanderten. Der Grund damals war der gleiche wie heute, da die Stadt ihre Kinder verliert, mangelnde Zukunftsaussichten wegen Arbeitslosigkeit. Während des 1. Weltkrieges waren die Bewohner Demmins genau so militaristisch eingestellt und nationalistisch verbohrt wie der Rest der deutschen Bevölkerung. Auch in der Zeit des Nationalsozialismuses hatte man nicht viel dazugelernt. Die letzten beiden jüdischen Bürgerinnen Demmins flohen bei Nacht und Nebel aus der Stadt, um ihr Leben zu retten. Niemand hat wieder etwas von ihnen gehört. Die Bewohner Demmins zahlten im Mai 1945 einen hohen Preis.
Die letzte Vitrine aus der Neuzeit enthält ein Transparent vom Herbst 1998 mit Forderungen des Neuen Forums:
Unser Rundgang endete eine Etage tiefer im mir wohlbekannten Museumsarchiv. Es hat einen schönen Lesesaal, und es macht richtig Spaß dort in alten Dokumenten zu schmökern. Frau Köhn zeigte uns das älteste Buch der Bibliothek. Ich glaube, es stammte aus dem 15. Jahrhundert. Die Seiten jedenfalls sind aus Ziegenleder.
Es ist möglich, dass diese Schätze des Demminer Museums bald in alle Winde zerstreut werden. Der Landkreis als Träger möchte sein ungeliebtes Museumskind gern losschlagen. Die Ausschreibung läuft meines Wissens noch. Für mich wäre es eine Horrorversion, wenn die Bestände des Museums verramscht würden, und ich wer weiß wohin fahren müsste, um in den alten Zeitungen zu lesen. Die beste Variante wäre, wenn die Stadt Demmin der neue Eigentümer des Museums würde. Die Stadt bemüht sich um die Trägerschaft. Wir werden sehen ob diese Pläne aufgehen.
Bei den Querelen um das Museum geht es nicht nur um die hohen Mietkosten und den abgelegenen Standort, ein Erbe des kürzlich verstorbenen ersten Landrates des Kreises Demmin. Es spielen scheinbar auch Rivalitäten zwischen den Altkreisen Demmin und Malchin eine Rolle. Bekanntlich gehört Demmin zu Vorpommern, und Malchin ist mecklenburgisches Gebiet. Bei der letzten Kreisgebietsreform hatte das kleinere Malchin gegenüber Demmin das Nachsehen. Sitz für den neuen Landkreis wurde Demmin. Etliche Malchiner fühlen sich immer noch benachteiligt. Ich finde es schon verwunderlich, wenn sich einige meine Kollegen in Cliquen zusammenfinden und die einen gegen die anderen intrigieren. Erstaunlich, wie schnell Erwachsene auf Kindergartenniveau zurückfallen können, und die nächste Kreisgebietsreform klopft schon an die Tür. Das kann ja heiter werden!
Wer etwas mehr über das Demminer Museum erfahren möchte, dem empfehle ich die Fußnote 6 in Karl Schlössers "Demmin - die andere Chronik". Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Demminer Museum.
Trotz meiner Erkrankung werde ich nicht als Aussätzige behandelt. Ich erfahre viel Hilfe und Unterstützung durch meine Arbeitskollegen. In diesen Zeiten der Entsolidarisierung, Antiempathiekampanien und hochgelobter Eigenverantwortung, sprich: jeder ist sich selbst der nächste, ist das bei weitem keine Selbstverständlichkeit. Ganz klar gesagt, ohne meine Arbeitskollegen würde ich die Einschränkungen, die meine Erkrankung mit sich bringt, wohl kaum so gut bewältigen. Meine Großfamilie residiert im fernen Berlin. So bin ich hier zwar allein, aber nicht von aller Welt verlassen. Für einen Krebspatienten geht es mir trotz allem recht gut, ich habe keinen Grund zum Jammern.
Kaum am Hanseufer angekommen, fiel mir meine oberste Chefin vor lauter Freude mich zu sehen um den Hals, und ich wurde erst einmal umärmelt. Unser ganzer Trupp sammelte sich im Foyer am Eingang zum Museum. Im Demminer Kreisheimatmuseum sollte der erste Teil unserer Weihnachtsfeier stattfinden, für den ich auch mein Kommen zugesagt hatte.
Die Museumsräumlichkeiten befinden sich in den obersten Geschossen des Speichers. Als Gesunde bin ich die Treppe immer hochgestürmt, aber das entfiel ja jetzt. Die Treppe führt wie in einem Turm immer im Kreis, wenn man oben ist, hat man einen Drehrumbum. Diejenigen unter meinen Kollegen, die an Platzangst leiden, hatte eh keine Wahl. Sie mussten den beschwerlichen Aufstieg wagen.
Wir anderen stauten uns vor dem winzigen Fahrstuhl. Laut Hersteller war er angeblich für fünf Personen ausgelegt. Testen wollten wir das lieber nicht. Ich schätze, wenn ein Rollstuhlfahrer mit seinem Gefährt hineinrollt, muss der Aufzug wegen Überfüllung geschlossen werden. Der Hersteller hatte mit seiner Personenangabe wohl fünf magersüchtige Models im Sinn.
Die Ausstellungsfläche des Demminer Kreisheimatmuseums besteht aus zwei Räumen. Der linke größere beherbergt die ständige Ausstellung, der rechte kleinere die Wechselausstellung. Das beste was ich bis jetzt in der Wechselausstellung gesehen habe, waren Gemälde der aus Demmin stammenden Malerin Ilse von Heyden-Linden, anlässlich ihres Geburts- oder Todestag. Welcher von beiden weiß ich nicht mehr. Ich war nur sprachlos überrascht, was dieses Provinznest Demmin für eine tolle Malerin hervorgebracht hat. Leider ist sie fast völlig unbekannt, der größte Teil ihres Werkes befindet sich in Privatbesitz. Einiger ihrer Gemälde gehören dem Demminer Kreisheimatmuseum und der Stiftung Pommern in Kiel. Im Augenblick werden in der Wechselausstellung Fotografien und Gemälde von Gesine Fröhlich aus Sommersdorf gezeigt.
Frau Köhn, die das Museum leitet, führte uns durch die ständige Ausstellung. Wir begannen ganz links in der Frühzeit. Auch, wenn es heute etwas unwahrscheinlich klingt, die Gegend um Demmin ist uraltes Siedlungsgebiet. Wir verdanken dies unseren drei Flüssen Trebel, Tollense und Peene, die in Demmin zusammenfließen. Zur Freude der ganzen Truppe durfte unser jüngster und körperlich größter Arbeitskollege in eine Lure blasen. Eine Lure ist ein altes nordisches Blasinstrument aus Bronze. Das Demminer Museum besitzt zwei davon. Der Ton, den unser Kollege dem Instrument entlockte, klang ein wenig nach Posaune. Neben Gefäßen und Werkzeugen aus der Vorzeit, konnte auch ein Stück eines Mammutzahns bewundert werden.
Die nächste Abteilung war das Mittelalter. Demmin war ja bekanntlich Mitglied der Hanse und führt heute die Bezeichnung Hansestadt im Namen. Vermutlich erlebten die Bürger Demmins damals die größte Blütezeit ihrer Stadt. Mir fiel neben den schönen Zinngefäßen besonders ein überdimensionales Riesenschwert auf. Das sah so richtig gruselig nach Rübe ab aus. Ein Blick in die Vitrine zeigte, ich hatte mich nicht geirrt, es war das Richtschwert des Henkers.
Ich ging flink um die Ecke zur Neuzeit. Aus meinem Stöbern in alten Zeitungen im Archiv des Museums weiß ich, dass in der Zeit um 1850 viele Bürger Demmins ihre Stadt verließen und nach Amerika auswanderten. Der Grund damals war der gleiche wie heute, da die Stadt ihre Kinder verliert, mangelnde Zukunftsaussichten wegen Arbeitslosigkeit. Während des 1. Weltkrieges waren die Bewohner Demmins genau so militaristisch eingestellt und nationalistisch verbohrt wie der Rest der deutschen Bevölkerung. Auch in der Zeit des Nationalsozialismuses hatte man nicht viel dazugelernt. Die letzten beiden jüdischen Bürgerinnen Demmins flohen bei Nacht und Nebel aus der Stadt, um ihr Leben zu retten. Niemand hat wieder etwas von ihnen gehört. Die Bewohner Demmins zahlten im Mai 1945 einen hohen Preis.
Die letzte Vitrine aus der Neuzeit enthält ein Transparent vom Herbst 1998 mit Forderungen des Neuen Forums:
Keine Privilegien, Leistungsprinzip für alle, baut ein Altersheim, unabhängige Zeitung, Rechtssicherheit ersetzt Staatssicherheit, Abschaffung der Klassen, Delikat, Intershop. Wir sind das Volk!Na immerhin, ein Altersheim haben wir ja jetzt.
Unser Rundgang endete eine Etage tiefer im mir wohlbekannten Museumsarchiv. Es hat einen schönen Lesesaal, und es macht richtig Spaß dort in alten Dokumenten zu schmökern. Frau Köhn zeigte uns das älteste Buch der Bibliothek. Ich glaube, es stammte aus dem 15. Jahrhundert. Die Seiten jedenfalls sind aus Ziegenleder.
Es ist möglich, dass diese Schätze des Demminer Museums bald in alle Winde zerstreut werden. Der Landkreis als Träger möchte sein ungeliebtes Museumskind gern losschlagen. Die Ausschreibung läuft meines Wissens noch. Für mich wäre es eine Horrorversion, wenn die Bestände des Museums verramscht würden, und ich wer weiß wohin fahren müsste, um in den alten Zeitungen zu lesen. Die beste Variante wäre, wenn die Stadt Demmin der neue Eigentümer des Museums würde. Die Stadt bemüht sich um die Trägerschaft. Wir werden sehen ob diese Pläne aufgehen.
Bei den Querelen um das Museum geht es nicht nur um die hohen Mietkosten und den abgelegenen Standort, ein Erbe des kürzlich verstorbenen ersten Landrates des Kreises Demmin. Es spielen scheinbar auch Rivalitäten zwischen den Altkreisen Demmin und Malchin eine Rolle. Bekanntlich gehört Demmin zu Vorpommern, und Malchin ist mecklenburgisches Gebiet. Bei der letzten Kreisgebietsreform hatte das kleinere Malchin gegenüber Demmin das Nachsehen. Sitz für den neuen Landkreis wurde Demmin. Etliche Malchiner fühlen sich immer noch benachteiligt. Ich finde es schon verwunderlich, wenn sich einige meine Kollegen in Cliquen zusammenfinden und die einen gegen die anderen intrigieren. Erstaunlich, wie schnell Erwachsene auf Kindergartenniveau zurückfallen können, und die nächste Kreisgebietsreform klopft schon an die Tür. Das kann ja heiter werden!
Wer etwas mehr über das Demminer Museum erfahren möchte, dem empfehle ich die Fußnote 6 in Karl Schlössers "Demmin - die andere Chronik". Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Demminer Museum.
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