Nordlichter
Kopf
Koloskopie und danach
Der Taxifahrer war pünktlich. In der Praxis war es nicht sehr voll aber die Untersuchungen schon im Gange. Die Schwester erzählte mir später, dass der Normalfall drei bis vier Magenspiegelungen und eine Darmspiegelung am Behandlungstage wäre. Manchmal wären es auch vier Darmspiegelungen, damit die Patienten nicht so lange warten müssten. Dieser Facharzt für Inneres ist der einzige, der im Landkreis Demmin diese Untersuchungsarten durchführt. Die Alternative wäre, gut 50 km entfernt nach Greifswald oder Neubrandenburg zu fahren.

Die Sprechstundenhilfe händigte mir ein Faltblatt aus, in dem die Untersuchungsmethode und die Alternativen mit Vor- und Nachteilen dargestellt wurden. Außerdem eine Beschreibung, wie die Darmspiegelung durchgeführt wird sowie Abbildungen des Darms und des Endoskops. Bei Beschwerden meiner Art würde eine totale Koloskopie, das heißt eine Innenschau bis zum Blinddarm, fällig. Das meiste davon wusste ich schon. Neu für mich war die Beschreibung der Darmpolypen, dazu hatte ich nichts Detailliertes gefunden. Ich hatte dann noch ein paar Kreuzchen zu setzen und zu unterschreiben, dass ich mit der Untersuchung einverstanden wäre. Was sonst, ich hätte mich wohl kaum durch die zwei vorrangegangenen Tage gequält, wenn nicht? Dann musste ich 8 Euronen dafür löhnen, dass ich während der Behandlung ruhiggestellt werde. Das halten Frau Schmidt und die gesetzliche Krankenkasse wohl für eine nicht erforderliche Zusatzleistung.

Der Doktor endoskopiert nicht nur die Verdauungsorgane, sondern führt auch eine ganz normale allgemeinärztliche Praxis. Eine seiner älteren Patientinnen erzählte, sie sei in diese Praxis gewechselt, weil ihre Ärztin ihre aus Altersgründen aufgegeben habe. Sie hoffe, sich nicht noch einmal einen neuen Hausarzt suchen zu müssen. Ja, dem Landkreis Demmin gehen über kurz oder lang die Praxen aus. Nachfolger sind nicht in Sicht. Die Gründe sind bekannt. Die verbliebenen Ärzte sind kaum in der Lage, die zusätzlichen Patienten mitzuversorgen. Wenn mein Hausarzt in Rente geht, muss ich mir wohl einen neuen in Greifswald oder Neubrandenburg suchen. Per gesetzlicher Verordnung wird dann bestimmt festgelegt sein, dass das zumutbar wäre für Patienten im ländlichen Raum.

Ein anderer Patient ein einundsiebzigjähriges pommersches Original, wie es nur hier zu finden ist, berichtete in einem liebenswerten Mischelmaschel aus Hoch- und Plattdeutsch von seiner Augenoperation. Jetzt könnte er wieder ohne Brille Auto fahren. Ja witzelte, die Sprechstundenhilfe, er könne nun die entgegenkommenden Fahrzeuge und die Straßenbäume erkennen. Nein, widersprach der alte Herr ganz ruhig, die habe er auch vorher gesehen, nur die Scheinwerfer seien riesengroß gewesen. Zum Beweis für seinen wiedererlangte Lesefähigkeit gab er den Inhalt einer weitentfernten Tafel zum besten. Außerdem erklärte er, sei er nur 100 m von diesem Ort geboren worden. Seine Mutter hätte es nicht mehr ins Krankenhaus geschafft. Die Oma musste helfen. Trotzdem sei die Hebamme gekommen um bei einer Tasse Bohnenkaffee, die Arbeit seiner Großmutter zu begutachten. Zu der damaligen Zeit wäre Bohnenkaffee noch etwas besonderes gewesen. Den gab es nicht alle Tage.

Hart sei sein Leben gewesen, erzählte er, hart aber gerecht. Er deutete auf seine Augen. Es sei schön, was heute alles möglich wäre. Aber, gab er zu bedenken, bei den meisten neuen Methoden, die im Fernsehen vorgestellt würden, käme der Zusatz, dass die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen würden. Ja, bei einer Gesundheitspolitik, wo Patienten zu Kunden und Ärzte zu Verkäufern mutieren, überkommt mich auch das nackte Grauen. Dienst am Menschen und Profitorientierung schließen sich gegenseitig aus.
Du kannst nicht zweien Herren dienen, mir und dem Mammon.
Ich bin gegen eine Gesundheitspolitik, bei der Privatpatienten entscheiden, was für gesetzlich Versicherte zumutbar ist. Ich bin gegen eine Gesundheitspolitik, bei der die Lobbyisten der Pharmaindustrie mit dem Kanzler zu Abend speisen, und die Gesundheitsministerin dann am nächsten morgen alle Bestimmungen zurücknimmt, die den Profit dieser Industriegruppe auch nur ein wenig beschneiden würden. All dies wird uns als großer Fortschritt verkauft, dabei wissen wir doch, dass das ein Schritt voran ins Mittelalter ist. Auch dort konnte sich Ärzte und Medizin nur eine kleine Schicht leisten. Der große Rest musste sich mit Kräutermedizin und Handauflegen behelfen. Dahin werden wir wieder kommen.

Dann rief mich die Schwester herein, verpasste mir einen Einlauf und platzierte mich neben der Toilette. Die glich den Klos mancher Bahnhöfe. Es sah aus, als hätte jemand nach dem Einlauf auf das Becken gezielt aber den Abfalleimer getroffen. Nach dem Geschäft führte mich die Schwester in den Behandlungsraum. Ich musste mich unten entblößen. Die Socken durfte ich wenigstens anbehalten. Auf dem Untersuchungstisch lag ich recht bequem, während mir die Schwester ein schmerzstillendes Mittel spritzte. Nach einer Weile kam der Doktor und injizierte mir das Beruhigungsmittel. Dadurch verlor ich jegliches Zeitgefühl.

Das Endoskop selber spürte ich kaum, aber damit der Arzt etwas erkennt, wird Luft in den Darm geblasen. Damit wurde es unangenehm für mich, ich bekam üble Blähungen. Es war ein Gefühl, als rammte mir jemand ein Messer in den Unterleib und drehte es genüsslich herum. Sonst kralle ich mich irgendwo fest und krümme mich zusammen, bis die Blähungen nachlassen. Trotz Schmerz- und Betäubungsmittel war ich drauf und dran vom Behandlungstisch zu springen. Das hätte unfreiwillig komisch ausgesehen, mit dem Endoskop im Hintern. Schwester und Arzt deuteten mir, mich von der Seite auf den Rücken zu legen und die Beine leicht anzuziehen. Leider verschaffte mir das kaum Erleichterung. Dann hörte ich den Doktor sagen, "Da ist es." Auf dem Monitor sah ich meine Darmschleimhaut und darauf irgendetwas, was dort nicht hingehörte. Das Endoskop wurde entfernt.

Der Doktor schärfte mir ein, am nächsten Tag meinen Hausarzt aufzusuchen. Er sagte, da Patienten unter Betäubung sich manchmal nicht erinnern könnten, würden sie es mir auf den Briefumschlag für meinen Arzt schreiben. Die Schwester half mir, mich aufzusetzen. Das Tuch unter mir war blutig. Ich durfte mich wieder anziehen und erhielt meinen Briefumschlag. Draußen wartete schon mein Taxifahrer. Ich brauchte zwei Versuche, um einzusteigen.

Ich weiß, dass einige Promies, wie Susanne Stahnke, für die Darmspiegelung werben. Von mir gibt es keine Empfehlung. Der Tag des großen Scheißens vor der Untersuchung ist eine Tortour. Die Darmspiegelung selbst war für mich äußerst schmerzhaft. Um mit meinem Onkel zu sprechen, es hat mir nicht gefallen. Ich halte diese Folter nur für sinnvoll, wenn echte Beschwerden vorliegen sowie bei mir und nicht, weil es gerade in ist. Falls Ihr Darmkollern habt und anschließend in der Kloschüssel statt der erwarteten braunen Brühe eine rote Suppe erblickt, dann ist es Zeit, den Arzt aufzusuchen.

Mein Hausarzt heute morgen hat mir erklärt, dass der Doktor gestern die Untersuchung wegen meiner Schmerzen abgebrochen habe. Die Stelle, die die Blutungen verursacht, hätte er aber wahrscheinlich gefunden. Eine Computertomographie müsse den Rest klären. Trotzdem solle ich mich seelisch und moralisch darauf vorbereiten, dass an meinem Darm rumgeschnippelt wird. Und wie mach ich das? Wenn mein Hausarzt mit dem Chirurgen einen Termin für mich aushandeln will, sieht die Sache wohl ernst aus.

Es ist nicht besonders klug, sich in diesen beschissenen Zeiten eine schwere Darmerkrankung zuzulegen. Da wir hier in Deutschland noch keine britischen Verhältnisse haben, werde ich auch nicht anderthalb Jahre auf den Operationstermin warten müssen. Ich soll morgen bei meinem Hausarzt anrufen, um zu erfahren, wie es nun weitergeht. Bis Freitag nächster Woche bin ich krankgeschrieben. Aber sehen wir die Sache mal positiv. Heute bin ich immerhin dazugekommen, einen Riesenberg Wäsche zu waschen.