Nordlichter
Kopf
Mit Gummibären und Lakritz gegen die Übelkeit
Die Chemotherapie bringt es mit sich, dass sich in meinem Mund ein starker Belag breitmacht. Meine Zunge ist manchmal dick bemoost. Dieses Moos ist allerdings nicht grün sondern weiß. Die Beschichtung ist die harmlosere Seite, unangenehmer ist der üble Geschmack, der mich allein schon zum Würgen reizt. Ich habe dagegen ein ebenso einfaches wie wirksames Mittel gefunden. Abends gurgel ich mit einer Kamillenlösung, und am Tag lutsche ich Gummibären oder Lakritz. Lakritz mochte ich ja schon immer, aber Gummibären habe ich bis zu meiner Krebserkrankung nicht angerührt. Wie dem auch sei, meine kleine Blechkiste ist mit beiden immer gut gefüllt. Die kleine Tochter meiner Freundin hat diese Schatzkiste natürlich längst entdeckt. Wenn sie mich besucht, dann rennt sie zuerst zum Käfig mit den Sittichen. Anschließend drückt sie mir die Blechkiste in die Hand, damit ich den Deckel abnehme, und wir beide naschen können.

Dies war meine Erholungswoche. Weil es mir während der Chemotherapie recht gut ging, war ich sehr unternehmungslustig. Am Dienstag besuchte ich meine Arbeitskollegen. Die Kollegin war in Urlaub und unser Chef unterwegs. So war ich mit den restlichen vier Herren allein. Ich hatte meinem Arbeitskollegen versprochen, mit ihm zusammen ein Überwachungsprogramm für den zweiten Server zu installieren. Bei dem Versuch die Papiere mit dem Schlüsselwort aus einem Karton zu ziehen, schnitt ich mir an der Pappe den Daumen auf. Mein Kollege klebte ein Pflaster auf die blutende Wunde. Da sieht man es mal wieder, die Arbeit in der EDV ist hundsgefährlich. Schon bei einer so simplen Tätigkeit kann man verunfallen. Normalerweise hätte das Einspielen des Programms maximal eine halbe Stunde gedauert, aber der Normalfall trat nicht ein. Das DVD-Laufwerk des Servers hatte ich noch nie ausprobiert. Nach mir hatte das selbstverständlich auch niemand getan. Macht nichts dachte ich, dann nehmen wir eben den ersten Server. Der reagierte genauso arbeitsunwillig wie sein Kumpan und lehnte jede Zusammenarbeit ab. Wenn die Hardware nicht will, nützt es wenig, wenn man mit dem besten aller Betriebssysteme arbeitet. Nur die Workstation zeigte sich kooperativ und nahm die CD-ROM willig an. Wir hängten das Laufwerk ins Dateisystem des zweiten Servers und konnten endlich die Installation starten.

Der Serverraum, in dem wir uns aufhielten, befindet sich in dem Bereich, den ich vor meiner Erkrankung betreut habe, und dem ich angehörte, bevor ich zur EDV wechselte. So hatte ich Gelegenheit nach einem Jahr einige meiner alten Kollegen wiederzusehen. Meine Arbeitskollegen in der EDV sehe ich zum Glück häufiger. Sie sorgen dafür, dass mir die Decke nicht auf den Kopf fällt, indem sie mich einfach ins Büro verschleppen.

Am Mittwoch entschied ich meine Friseuse aufzusuchen. Ich war dort das letzte Mal im Januar vor meiner Leberoperation. Inzwischen sind die Ohren schon wieder zugewachsen. Ich hatte Glück, meine Friseuse war da und auch gerade frei. Sie verpasste mir die gleiche Frisur wie das letzte Mal. Vor meiner ersten Operation trug ich schulterlanges Haar. Ich habe jetzt konsequent alle Klemmen, Klammern, Gummis und Bänder entsorgt. Meine Haare werde ich mir nicht wieder langwachsen lassen. So gefällt es mir besser. Nur im Winter brauche ich dann etwas Schutz für meine Horcher.

Donnerstag machte ich mich auf zur Bibliothek. So weit bin ich bis jetzt noch nie gelaufen. Es ist ungefähr mein halber Arbeitsweg. Die Bibliothekarin hatte mir am Telefon gesagt, sie würde mir die Ausleihfrist für die Bücher auch wieder verlängern. Aber ich wollte nach einem Jahr endlich die alten Bücher abgeben und mir neue ausleihen. Ich hatte in der Bibliothek nicht gesagt, an welcher Krankheit ich leide. Aber sie können es sich denken. Eines der Bücher, die ich mir ausgeliehen hatte, hieß "Aktiv gegen den Krebs". Als neue Beute habe ich "Wohn-Planset", "Die illustrierte Geschichte der Gestapo", "PhotoImpact XL echt einfach", "Ein Maler aus Deutschland" und das Hörbuch "Der Nachbar" mit nach Hause geschleppt. Die Rezensionen könnt Ihr dann später hier in diesem Blog unter der Rubrik Medien lesen.

Am Freitag hatte ich Besuch, Jutta und mein Vati haben auf der Rückreise von ihrem Urlaub hier vorbeigeschaut. Sie sind mit mir in die Mühle essengegangen. Ich wählte Rindersteak "Madagaskar". Die Kellnerin fragte mich, wie ich es haben wollte. Ich sagte ihr, ich würde nichts essen, was noch lebt. Also bekam ich mein Rindersteak gut durch. An der dicken Stelle war es leicht rosa. Das ist in Ordnung. Ich mag es nur nicht, dass es blutet, wenn ich an einem Steak rumschneide.

Während meiner Unternehmungen begann mein Darm ordentlich zu rumoren. Das trieb mir schon mal den Angstschweiß auf die Stirn. Passiert ist zum Glück nichts. Aber die Sache mit der Rückverlegung ist noch nicht ausgestanden. Von 14 Tagen gibt es drei, wo ich mich nicht weit vom Klo entfernen kann, so wie heute. Mein Hintern ist dann rasch wieder wund, und die bewährte Zinksalbe kommt zum Einsatz. Lustig ist die Angelegenheit bei weitem nicht. So ein brennender Hintern ist bei dieser Wärme eine echt fiese Plage.