Leseratte
Montag, 12. Juni 2006, Kategorie: 'Krankengeschichten'
Durch meine Krebserkrankung bin ich wieder auf die Tätigkeit zurückgeworfen, die ich schon immer liebe, Lesen.
Dabei war das von Anfang an nicht zu erwarten. Lesen lernt man gewöhnlich in der ersten Klasse in der Schule. Bei mir war das nicht so. Ich war lange analphabetischer Erstklässler und konnte das geschickt verbergen. Wenn ich einen Text zweimal gehört hatte, kannte ich ihn auswendig. Ich wusste auch in etwa, in welcher Zeile was stand. Meine Lehrerin konnte ich damit täuschen, nicht jedoch meinen Vater. Gemein wie er war, schnitt er in ein Stückchen Pappe Löcher hinein. Der Text wurde abgedeckt, und ich sollte dann lesen, was die Aussparung hergab. Natürlich bin ich grandios gescheitert. Trotz meines Geflenne blieb mein Vater unerbittlich und legte immer wieder stur die Pappe auf andere Stellen im Text. Er hat mir das Lesen beigebracht und kein Lehrer in der Schule.
Als ich dann endlich lesen konnte, war ich auch mit Begeisterung dabei und lieh mir Bücher in der Schulbibliothek aus. Mein Interesse galt der Abenteuerliteratur, dem historischen Roman und natürlich der Science-Fiction. Sogenannte Mädchenbücher habe ich nie gelesen, nichts für mich. Eines Tages saß ich in der Schulbibliothek, ein Buch auf den Knien und verfolgte mein Lesen mit dem Zeigefinger. Vor mir baute sich eine Schülerin aus einer höheren Klasse auf, stemmte die Hände in die Hüfte und empörte sich, als hätte sie mich bei einer Lüge ertappt, "Das glaube ich dir nicht, dass du so schnell lesen kannst." Seitdem lese ich ohne den Zeigefinger zur hilfe zu nehmen. Jetzt, wo meine Augen schlechter werden, muss ich wohl bald wieder darauf zurückgreifen.
Mein Optiker, charmant wie er ist, hatte gesagt, ich wäre nun in dem gewissen Alter, wo die Arme langsam nicht mehr ausreichten, um das Kleingedruckte zu erkennen. Meine Kurzsichtigkeit hat sich zum Glück nicht verschlimmert. Aber er hat mir eine Gleitsichtbrille verpasst, da ich nicht mit zwei Brillen rumrennen wollte. Um scharf sehen zu können, muss man als Träger einer solchen Brille den ganzen Kopf drehen und nicht nur die Augen. Nur das Hinabsteigen der Treppe mit dieser Sehhilfe auf der Nase gestaltet sich als schwierig. Da müsste ich mich schon hinlegen, um die nächste Stufe scharf zu erkennen. Die Stufen nach unten lege ich also im Blindflug zurück immer mit der Hand am Geländer, nur für alle Fälle, man weiß ja nie. Aber immerhin kann ich wieder ohne Mühe lesen.
Mein Interesse am Historischen ist geblieben, statt Science-Fiction schmöker ich aber nun meist Krimis. Daran ist meine Mutti schuld. Sie kaufte Bücher von Dashiell Hammett, Raymond Chandler, Dorothy Sayers, P. D. James und Ruth Rendell. Besonders die zehn Bände des schwedischen Autorenpaares Maj Sjöwall und Per Wahlöö sind für mich immer noch unübertroffen. Seit ich die Bücher dieser sieben Schriftsteller gelesen habe, bin ich dem Genre rettungslos verfallen. Krimis sind ja zurzeit groß in Mode. Man versucht sich durch die Schilderung immer grauenvollerer Details zu überbieten. Ich lese aber trotzdem nicht wahllos alles. Mit Henning Mankell z.B. kann ich nichts anfangen. Seine Bücher sind wie die Lieder von Leonard Cohen. Wenn man zuviel davon konsumiert, wird man depressiv. Da lese ich doch lieber Ellis Peters oder Minette Walters.
Aber im Moment bin ich immer noch bei meiner Harald-Schmidt-Kolumne. Ich nehme das Buch morgen wieder in die Onkologiesitzung mit. Diese Woche ging es mir bis auf Mittwoch recht gut. Am Dienstag hatten die Bauarbeiter die alten Fenster durch neue ausgetauscht. Obwohl ich im Schlafzimmer saß, zog es durch die offene Wohnungstür wie Hechtsuppe. Ich hatte mich dick eingemummelt, dessen ungeachtet fror ich entsetzlich. Die Quittung erhielt ich am nächsten Morgen. Ich hatte mich erkältet und wachte schon mit einer dicken Rübe auf. Das erste Mal musste ich mich beim Zähneputzen übergeben, das zweite Mal bevor ich einen Schluck von meinem Morgentee trinken konnte. Das hatte ich bis jetzt noch gar nicht, reihern während meiner Erholungswoche. Ich warf zwei Tabletten ein, krabbelte zurück in mein Bett und schlief bis zum Mittag. Der Orkan in meinem Kopf hatte sich inzwischen zu einem leichten Säuseln abgeschwächt. Zum Glück ist es dabei geblieben. Nur mein Hintern nötigt mich einmal mehr zu Sprinteinlagen quer durch die Wohnung. Meinem Stuhl nach bin ich jetzt kein Karnickel mehr sondern ein Vogel. Warten wir die morgige Chemotherapie ab.
Dabei war das von Anfang an nicht zu erwarten. Lesen lernt man gewöhnlich in der ersten Klasse in der Schule. Bei mir war das nicht so. Ich war lange analphabetischer Erstklässler und konnte das geschickt verbergen. Wenn ich einen Text zweimal gehört hatte, kannte ich ihn auswendig. Ich wusste auch in etwa, in welcher Zeile was stand. Meine Lehrerin konnte ich damit täuschen, nicht jedoch meinen Vater. Gemein wie er war, schnitt er in ein Stückchen Pappe Löcher hinein. Der Text wurde abgedeckt, und ich sollte dann lesen, was die Aussparung hergab. Natürlich bin ich grandios gescheitert. Trotz meines Geflenne blieb mein Vater unerbittlich und legte immer wieder stur die Pappe auf andere Stellen im Text. Er hat mir das Lesen beigebracht und kein Lehrer in der Schule.
Als ich dann endlich lesen konnte, war ich auch mit Begeisterung dabei und lieh mir Bücher in der Schulbibliothek aus. Mein Interesse galt der Abenteuerliteratur, dem historischen Roman und natürlich der Science-Fiction. Sogenannte Mädchenbücher habe ich nie gelesen, nichts für mich. Eines Tages saß ich in der Schulbibliothek, ein Buch auf den Knien und verfolgte mein Lesen mit dem Zeigefinger. Vor mir baute sich eine Schülerin aus einer höheren Klasse auf, stemmte die Hände in die Hüfte und empörte sich, als hätte sie mich bei einer Lüge ertappt, "Das glaube ich dir nicht, dass du so schnell lesen kannst." Seitdem lese ich ohne den Zeigefinger zur hilfe zu nehmen. Jetzt, wo meine Augen schlechter werden, muss ich wohl bald wieder darauf zurückgreifen.
Mein Optiker, charmant wie er ist, hatte gesagt, ich wäre nun in dem gewissen Alter, wo die Arme langsam nicht mehr ausreichten, um das Kleingedruckte zu erkennen. Meine Kurzsichtigkeit hat sich zum Glück nicht verschlimmert. Aber er hat mir eine Gleitsichtbrille verpasst, da ich nicht mit zwei Brillen rumrennen wollte. Um scharf sehen zu können, muss man als Träger einer solchen Brille den ganzen Kopf drehen und nicht nur die Augen. Nur das Hinabsteigen der Treppe mit dieser Sehhilfe auf der Nase gestaltet sich als schwierig. Da müsste ich mich schon hinlegen, um die nächste Stufe scharf zu erkennen. Die Stufen nach unten lege ich also im Blindflug zurück immer mit der Hand am Geländer, nur für alle Fälle, man weiß ja nie. Aber immerhin kann ich wieder ohne Mühe lesen.
Mein Interesse am Historischen ist geblieben, statt Science-Fiction schmöker ich aber nun meist Krimis. Daran ist meine Mutti schuld. Sie kaufte Bücher von Dashiell Hammett, Raymond Chandler, Dorothy Sayers, P. D. James und Ruth Rendell. Besonders die zehn Bände des schwedischen Autorenpaares Maj Sjöwall und Per Wahlöö sind für mich immer noch unübertroffen. Seit ich die Bücher dieser sieben Schriftsteller gelesen habe, bin ich dem Genre rettungslos verfallen. Krimis sind ja zurzeit groß in Mode. Man versucht sich durch die Schilderung immer grauenvollerer Details zu überbieten. Ich lese aber trotzdem nicht wahllos alles. Mit Henning Mankell z.B. kann ich nichts anfangen. Seine Bücher sind wie die Lieder von Leonard Cohen. Wenn man zuviel davon konsumiert, wird man depressiv. Da lese ich doch lieber Ellis Peters oder Minette Walters.
Aber im Moment bin ich immer noch bei meiner Harald-Schmidt-Kolumne. Ich nehme das Buch morgen wieder in die Onkologiesitzung mit. Diese Woche ging es mir bis auf Mittwoch recht gut. Am Dienstag hatten die Bauarbeiter die alten Fenster durch neue ausgetauscht. Obwohl ich im Schlafzimmer saß, zog es durch die offene Wohnungstür wie Hechtsuppe. Ich hatte mich dick eingemummelt, dessen ungeachtet fror ich entsetzlich. Die Quittung erhielt ich am nächsten Morgen. Ich hatte mich erkältet und wachte schon mit einer dicken Rübe auf. Das erste Mal musste ich mich beim Zähneputzen übergeben, das zweite Mal bevor ich einen Schluck von meinem Morgentee trinken konnte. Das hatte ich bis jetzt noch gar nicht, reihern während meiner Erholungswoche. Ich warf zwei Tabletten ein, krabbelte zurück in mein Bett und schlief bis zum Mittag. Der Orkan in meinem Kopf hatte sich inzwischen zu einem leichten Säuseln abgeschwächt. Zum Glück ist es dabei geblieben. Nur mein Hintern nötigt mich einmal mehr zu Sprinteinlagen quer durch die Wohnung. Meinem Stuhl nach bin ich jetzt kein Karnickel mehr sondern ein Vogel. Warten wir die morgige Chemotherapie ab.