Patientinnen
Mittwoch, 8. Februar 2006, Kategorie: 'Krankengeschichten'
Die Schwester in der Wachstation tüterte meine Kabelei ab. Ich kletterte aus dem Bett und krabbelte in das, das die Stationsschwester mitgebracht hatte. Ein neuer Ortswechsel stand an. Wobei sich jede Erschütterung des Bettes unangenehm in meinem Bauch bemerkbar machte. Ich jammerte bei jedem Huggel.
Die Schwester schob mein Bett im Flur an dem einer anderen Patientin vorbei. Erst dachte ich, sie wartete auf eine Untersuchung. Dann fiel mir ihr grandioses Augen-Make-up auf. Hatte das Krankenhaus ein Theater oder eine geheime Nachtbar, und ich wusste nichts davon? Ich erinnerte mich im Waschraum eine alte Dame getroffen zu haben. Sie erzählte mir, dass sie gleich zur Operation müßte, während sie sich sorgfältig die Augenbrauen nachzog. Huch, der Konkurrenzkampf wird also sogar im Krankenhaus ausgefochten. Ich musste an eine boshafte Grafik aus Goyas "Los Caprichos" denken, das Blatt 55 mit dem Titel "Hasta la muerte". Ein hageres altes Weiblein putzt sich dort vor einem Spiegel. Einige Frauen fühlen sich ohne Kriegsbemalung anscheinend sehr unwohl. Interessiert es die Chirurgen eigentlich, ob die Patientin, die da vor ihnen auf dem Operationstisch liegt, schön oder hässlich ist? Haben sie überhaupt den Nerv und die Zeit auf so was zu achten? Ich hatte im Krankenhaus bis jetzt andere Sorgen als mein Aussehen. Wenn ich dort einrücke dann immer ohne Klunkern und Farbkasten.
Die Schwester schob mein Bett ins alte Zimmer auf einen freien Platz mit der linken Seite an die Wand. Das bedeutete für mich, ich musste auf der rechten Seite aus dem Bett steigen. Das war denkbar ungünstig, alles, was mir weh tat, befand sich rechts. Ich konnte mich nur mit einem Schmerzensschrei erheben. Deshalb fragte ich Frau W, die am gleichen Tag mit mir ins Krankenhaus eingerückt war, ob sie mit mir den Platz tauschen würde. Zwar merkte ich jede Lageveränderung überdeutlich in meinem Bauch, aber links konnte ich mich wenigstens ohne Tarzanschrei aufrichten.
Frau W tat mir gern den Gefallen. Sie hatte eine eigenwillige Art das Wörtchen "mich" zu gebrauchen, an der Herr Sick sicherlich seine Freude gehabt hätte. Sonst aber war sie die Hilfsbereitschaft in Person. Sie war klein und von knuddeliger Gestalt. Ins Krankenhaus war sie wegen eines kosmetischen Problems gekommen. Ihre Krankenkasse übernahm einsichtsvoll die Kosten für die Operation. Am Unterbauch hatte sich bei ihr eine Schürze gebildet, die sie zunehmend am Gehen hinderte. Gebildet hatte sich die Schürze durch mehrere Geburten, schwere körperliche Arbeit im Kuhstall und beim Paketdienst der Post sowie durch ihr beträchtliches Übergewicht. Der Oberarzt sagte ihr, einen Cladia-Schiffer-Bauch könne er ihr nicht versprechen, aber ihr Problem könne gelöst werden. Das Gewebe, das Frau W entfernt wurde, hatte ein Gewicht von mehr als 7 kg. Frau W hatte eine etwas laute Art, die nicht bei jeder der Zimmergefährtinnen gut ankam. Aber, wenn man sechs Kinder zur Welt gebracht und auch großgezogen hat, dann muss man sich schon durchsetzen können.
Im Bett hinter mir lag eine alte Dame von etwa Mitte siebzig, nennen wir sie Frau X. Sie schien eine Abneigung gegen alles und jeden zu haben bis auf eine Ausnahme. Kaum war die Zimmertür nach der Visite hinter uns geschlossen, verkündete sie jedesmal, wie sehr sie den Stationsarzt mag. Wir waren von netten Ärzten umzingelt, aber dieser Doktor war der eindeutige Favorit bei den Damen in meinem Zimmer. Seine fröhliche Art kam gut an. Die Patientin hinter mir überlegte eines Tages laut, ob der Herr Doktor wohl noch zu haben wäre. Die Schwesternschülerin sagte einfach, "Fragen Sie ihn doch." Das wollte die alte Dame indessen nicht. Sie behauptete, zu alt für diese Angelegenheit zu sein. "Aber Frau X, dafür ist man doch nie zu alt!", antworteten die Schwesternschülerin und ich im Chor. Ich musste an meinen Vati und Jutta denken, und wie glücklich die beiden miteinander sind. Sollen sie auf Liebe verzichten, nur weil sie alt sind?
Frau X begann weiter mit ihrer Allergie gegen alles und jeden zu nerven. Ihr beliebtestes Stilmittel war dabei die Übertreibung. Wenn Frau W ½ Stunde vor dem Wecken den Waschraum ansteuerte, und ich ihr dann folgte, wurde Frau X natürlich Mitten in der Nacht vom Schlafen abgehalten. Frau Ws laute Art war ihr selbstverständlich auch suspekt. Als sie sich darüber bei mir beklagte, sagte ich ihr, ich wäre die falsche Adresse. Wenn sie ein Problem mit Frau W hätte, müsse sie das mit ihr klären und nicht mit mir. Frau X drehte die Heizung aus, weil es angeblich im Zimmer zu warm wäre. Draußen war kalter Winter, und ich fror in meinem Bett still vor mich hin. Seit ich nichts mehr auf den Rippen habe, bin ich eine noch größere Frostbeule als sonst. Zwar drehte ich die Heizung wieder hoch, aber Frau X lag näher am Schalter. Damit standen die Chancen für ein warmes Zimmer gleich Null. Das änderte sich erst, als eine Lehrerin zu uns ins Zimmer zog, mit der ich spontan eine Einheitsfront bildete. Unsere erste Aktion war, Heizung hochdrehen. Frau X wagte keinen Protest.
Einmal wachte ich nachts mit starken Schmerzen auf. Jeder Atemzug tat mir weh. Die Schwester meinte, dass ich mich verlegen hätte. Sie gab mir Schmerztropfen. Ich sollte ganz ruhig atmen. Um mich abzulenken, wollte ich fernsehen. In Demmin war das nie ein Problem gewesen, hier ja. Aus dem Bett hinter mir kam Protest. Ich hatte keine Lust auf einen Disput mit der Nervensäge. Also schnappte ich mir den Roller und brach zu einem Nachtspaziergang auf dem langen Flur der Station auf. Beim gemächlichen Gehen fiel mir das Atmen leichter als im Liegen. Die Stiche in der Lunge ließen langsam nach. Getroffen habe ich auf dem Flur keine Menschenseele. Im Greifswalder Krankenhaus gab es nicht mal ein Nachtgespenst. Weil es mir das Atmen erleichterte, lüftete ich für ½ Stunde das Zimmer. Frau X behauptete am nächsten Morgen, das Fenster hätte die ganze Nacht aufgestanden. Ich erwiderte, dass sie, wie immer, übertreibe, und sie gar nicht wisse, wie übel es mir in der Nacht ergangen war. Im Gegensatz zu ihr war für mich die Nacht vorbei gewesen, an Schlafen nicht mehr zu denken. Anscheinend konnte es ihr niemand recht machen, es sei denn, man war der Stationsarzt.
Die alte Dame hatte irgendein Problem, das nach meiner Meinung nichts mit ihrer Erkrankung zu tun hatte. Später sollte ich erfahren, welcher Art dieses Problem war. Ohne Zweifel ging es ihr gesundheitlich nicht sehr gut. Denn matt genug war sie ja. Immerhin lag sie, nachdem sie 2/3 ihres Magens verloren hatte, schon ein Jahr im Krankenhaus. Sie hatte davon einen langen Zeitraum in der Wachstation verbracht. Na, so schlecht kann es ihr aber dort nicht ergangen sein, denn sie schwärmte nachhaltig von den schwarzen Augen eines Doktors. Ich wusste, wen sie meinte, aber ich war während meiner Zeit auf der Wachstation nicht in der Verfassung, dass mich die Augen der dort tätigen Ärzte sonderlich interessiert hätten. Beim Abschied versicherte Frau X dem Doktor, den sie als ihren Schietermatz bezeichnete, sie würde seine dunklen Augen nie vergessen. Und dann behauptete sie, sie wäre zu alt für diesen Schiet!
Ich sah wie Frau X, fast einer Ohnmacht nahe, von der Toilette zurück ins Zimmer wankte. Kein Wunder, sie aß ja auch so gut wie nichts. Die Schwestern und Ärzte schwindelte sie über die von ihr verzehrte Nahrungsmenge an. Ich hatte daraufhin nichts besseres zu tun als Frau X bei der Schwester zu verpetzen. Gut, jeder ist letztendlich für sich selbst verantwortlich. Aber zusehen, wie sie zusammenklappt, konnte ich schließlich auch nicht. Die Ärzte verwarnten sie eindringlich, falls sie nicht endlich essen würde, dann würde sie an den Tropf angestöpselt und künstlich ernährt werden. Die Schwester notierte peinlich genau, was Frau X aß oder trank. Weil die Lehrerin und ich gedroht hatten, wir würden sie ganz penibel beobachten, machte sie auch keine falschen Angaben mehr. Frau X schien die gesteigerte Aufmerksamkeit um ihre Person sichtlich zu gefallen. Sie hatte kaum noch etwas zu meckern und taute merklich auf. Sie versorgte uns mit allerlei Anekdoten aus ihrer Krankengeschichte. Einmal sollte ihr Bauch geröntgt werden. Der dazu notwendige Kontrastmitteleinlauf hatte auf sie eine abführende Wirkung. Sie berichtete, sie hätte dem Arzt auf dem Röntgentisch kräftig einen vorgeflattert. Der Arzt sagte daraufhin, dass würde nichts machen und hätte stoisch geröntgt, sie und alles andere ebenso.
Nachdem Frau W in ihr Dorf entlassen wurden, komplettierte Frau Z unser Quartett. Sie war auch Rentnerin und Mutter genausovieler Kinder. Ihr war der Magen vollständig entfernt worden, und sie behauptete, jetzt den einer Ente zu haben. Bei ihrer Operation erhielt sie eine Bluttransfusion. Sie sagte, sie wolle aber nicht das Blut eines alten Mannes haben. Die Schwester beruhigte sie, sie hätte das Blut eines Spaniers erhalten. Den Beweis dafür trat sie am nächsten Morgen an, als sie am Bettrand sitzend mit den Puschen einen temperamentvollen Steptanz aufs Parkett legte.
In diesem Patientenzimmer konnte man an allerlei Gebrechen leiden, aber bestimmt nicht an Langerweile.
Die Schwester schob mein Bett im Flur an dem einer anderen Patientin vorbei. Erst dachte ich, sie wartete auf eine Untersuchung. Dann fiel mir ihr grandioses Augen-Make-up auf. Hatte das Krankenhaus ein Theater oder eine geheime Nachtbar, und ich wusste nichts davon? Ich erinnerte mich im Waschraum eine alte Dame getroffen zu haben. Sie erzählte mir, dass sie gleich zur Operation müßte, während sie sich sorgfältig die Augenbrauen nachzog. Huch, der Konkurrenzkampf wird also sogar im Krankenhaus ausgefochten. Ich musste an eine boshafte Grafik aus Goyas "Los Caprichos" denken, das Blatt 55 mit dem Titel "Hasta la muerte". Ein hageres altes Weiblein putzt sich dort vor einem Spiegel. Einige Frauen fühlen sich ohne Kriegsbemalung anscheinend sehr unwohl. Interessiert es die Chirurgen eigentlich, ob die Patientin, die da vor ihnen auf dem Operationstisch liegt, schön oder hässlich ist? Haben sie überhaupt den Nerv und die Zeit auf so was zu achten? Ich hatte im Krankenhaus bis jetzt andere Sorgen als mein Aussehen. Wenn ich dort einrücke dann immer ohne Klunkern und Farbkasten.
Die Schwester schob mein Bett ins alte Zimmer auf einen freien Platz mit der linken Seite an die Wand. Das bedeutete für mich, ich musste auf der rechten Seite aus dem Bett steigen. Das war denkbar ungünstig, alles, was mir weh tat, befand sich rechts. Ich konnte mich nur mit einem Schmerzensschrei erheben. Deshalb fragte ich Frau W, die am gleichen Tag mit mir ins Krankenhaus eingerückt war, ob sie mit mir den Platz tauschen würde. Zwar merkte ich jede Lageveränderung überdeutlich in meinem Bauch, aber links konnte ich mich wenigstens ohne Tarzanschrei aufrichten.
Frau W tat mir gern den Gefallen. Sie hatte eine eigenwillige Art das Wörtchen "mich" zu gebrauchen, an der Herr Sick sicherlich seine Freude gehabt hätte. Sonst aber war sie die Hilfsbereitschaft in Person. Sie war klein und von knuddeliger Gestalt. Ins Krankenhaus war sie wegen eines kosmetischen Problems gekommen. Ihre Krankenkasse übernahm einsichtsvoll die Kosten für die Operation. Am Unterbauch hatte sich bei ihr eine Schürze gebildet, die sie zunehmend am Gehen hinderte. Gebildet hatte sich die Schürze durch mehrere Geburten, schwere körperliche Arbeit im Kuhstall und beim Paketdienst der Post sowie durch ihr beträchtliches Übergewicht. Der Oberarzt sagte ihr, einen Cladia-Schiffer-Bauch könne er ihr nicht versprechen, aber ihr Problem könne gelöst werden. Das Gewebe, das Frau W entfernt wurde, hatte ein Gewicht von mehr als 7 kg. Frau W hatte eine etwas laute Art, die nicht bei jeder der Zimmergefährtinnen gut ankam. Aber, wenn man sechs Kinder zur Welt gebracht und auch großgezogen hat, dann muss man sich schon durchsetzen können.
Im Bett hinter mir lag eine alte Dame von etwa Mitte siebzig, nennen wir sie Frau X. Sie schien eine Abneigung gegen alles und jeden zu haben bis auf eine Ausnahme. Kaum war die Zimmertür nach der Visite hinter uns geschlossen, verkündete sie jedesmal, wie sehr sie den Stationsarzt mag. Wir waren von netten Ärzten umzingelt, aber dieser Doktor war der eindeutige Favorit bei den Damen in meinem Zimmer. Seine fröhliche Art kam gut an. Die Patientin hinter mir überlegte eines Tages laut, ob der Herr Doktor wohl noch zu haben wäre. Die Schwesternschülerin sagte einfach, "Fragen Sie ihn doch." Das wollte die alte Dame indessen nicht. Sie behauptete, zu alt für diese Angelegenheit zu sein. "Aber Frau X, dafür ist man doch nie zu alt!", antworteten die Schwesternschülerin und ich im Chor. Ich musste an meinen Vati und Jutta denken, und wie glücklich die beiden miteinander sind. Sollen sie auf Liebe verzichten, nur weil sie alt sind?
Frau X begann weiter mit ihrer Allergie gegen alles und jeden zu nerven. Ihr beliebtestes Stilmittel war dabei die Übertreibung. Wenn Frau W ½ Stunde vor dem Wecken den Waschraum ansteuerte, und ich ihr dann folgte, wurde Frau X natürlich Mitten in der Nacht vom Schlafen abgehalten. Frau Ws laute Art war ihr selbstverständlich auch suspekt. Als sie sich darüber bei mir beklagte, sagte ich ihr, ich wäre die falsche Adresse. Wenn sie ein Problem mit Frau W hätte, müsse sie das mit ihr klären und nicht mit mir. Frau X drehte die Heizung aus, weil es angeblich im Zimmer zu warm wäre. Draußen war kalter Winter, und ich fror in meinem Bett still vor mich hin. Seit ich nichts mehr auf den Rippen habe, bin ich eine noch größere Frostbeule als sonst. Zwar drehte ich die Heizung wieder hoch, aber Frau X lag näher am Schalter. Damit standen die Chancen für ein warmes Zimmer gleich Null. Das änderte sich erst, als eine Lehrerin zu uns ins Zimmer zog, mit der ich spontan eine Einheitsfront bildete. Unsere erste Aktion war, Heizung hochdrehen. Frau X wagte keinen Protest.
Einmal wachte ich nachts mit starken Schmerzen auf. Jeder Atemzug tat mir weh. Die Schwester meinte, dass ich mich verlegen hätte. Sie gab mir Schmerztropfen. Ich sollte ganz ruhig atmen. Um mich abzulenken, wollte ich fernsehen. In Demmin war das nie ein Problem gewesen, hier ja. Aus dem Bett hinter mir kam Protest. Ich hatte keine Lust auf einen Disput mit der Nervensäge. Also schnappte ich mir den Roller und brach zu einem Nachtspaziergang auf dem langen Flur der Station auf. Beim gemächlichen Gehen fiel mir das Atmen leichter als im Liegen. Die Stiche in der Lunge ließen langsam nach. Getroffen habe ich auf dem Flur keine Menschenseele. Im Greifswalder Krankenhaus gab es nicht mal ein Nachtgespenst. Weil es mir das Atmen erleichterte, lüftete ich für ½ Stunde das Zimmer. Frau X behauptete am nächsten Morgen, das Fenster hätte die ganze Nacht aufgestanden. Ich erwiderte, dass sie, wie immer, übertreibe, und sie gar nicht wisse, wie übel es mir in der Nacht ergangen war. Im Gegensatz zu ihr war für mich die Nacht vorbei gewesen, an Schlafen nicht mehr zu denken. Anscheinend konnte es ihr niemand recht machen, es sei denn, man war der Stationsarzt.
Die alte Dame hatte irgendein Problem, das nach meiner Meinung nichts mit ihrer Erkrankung zu tun hatte. Später sollte ich erfahren, welcher Art dieses Problem war. Ohne Zweifel ging es ihr gesundheitlich nicht sehr gut. Denn matt genug war sie ja. Immerhin lag sie, nachdem sie 2/3 ihres Magens verloren hatte, schon ein Jahr im Krankenhaus. Sie hatte davon einen langen Zeitraum in der Wachstation verbracht. Na, so schlecht kann es ihr aber dort nicht ergangen sein, denn sie schwärmte nachhaltig von den schwarzen Augen eines Doktors. Ich wusste, wen sie meinte, aber ich war während meiner Zeit auf der Wachstation nicht in der Verfassung, dass mich die Augen der dort tätigen Ärzte sonderlich interessiert hätten. Beim Abschied versicherte Frau X dem Doktor, den sie als ihren Schietermatz bezeichnete, sie würde seine dunklen Augen nie vergessen. Und dann behauptete sie, sie wäre zu alt für diesen Schiet!
Ich sah wie Frau X, fast einer Ohnmacht nahe, von der Toilette zurück ins Zimmer wankte. Kein Wunder, sie aß ja auch so gut wie nichts. Die Schwestern und Ärzte schwindelte sie über die von ihr verzehrte Nahrungsmenge an. Ich hatte daraufhin nichts besseres zu tun als Frau X bei der Schwester zu verpetzen. Gut, jeder ist letztendlich für sich selbst verantwortlich. Aber zusehen, wie sie zusammenklappt, konnte ich schließlich auch nicht. Die Ärzte verwarnten sie eindringlich, falls sie nicht endlich essen würde, dann würde sie an den Tropf angestöpselt und künstlich ernährt werden. Die Schwester notierte peinlich genau, was Frau X aß oder trank. Weil die Lehrerin und ich gedroht hatten, wir würden sie ganz penibel beobachten, machte sie auch keine falschen Angaben mehr. Frau X schien die gesteigerte Aufmerksamkeit um ihre Person sichtlich zu gefallen. Sie hatte kaum noch etwas zu meckern und taute merklich auf. Sie versorgte uns mit allerlei Anekdoten aus ihrer Krankengeschichte. Einmal sollte ihr Bauch geröntgt werden. Der dazu notwendige Kontrastmitteleinlauf hatte auf sie eine abführende Wirkung. Sie berichtete, sie hätte dem Arzt auf dem Röntgentisch kräftig einen vorgeflattert. Der Arzt sagte daraufhin, dass würde nichts machen und hätte stoisch geröntgt, sie und alles andere ebenso.
Nachdem Frau W in ihr Dorf entlassen wurden, komplettierte Frau Z unser Quartett. Sie war auch Rentnerin und Mutter genausovieler Kinder. Ihr war der Magen vollständig entfernt worden, und sie behauptete, jetzt den einer Ente zu haben. Bei ihrer Operation erhielt sie eine Bluttransfusion. Sie sagte, sie wolle aber nicht das Blut eines alten Mannes haben. Die Schwester beruhigte sie, sie hätte das Blut eines Spaniers erhalten. Den Beweis dafür trat sie am nächsten Morgen an, als sie am Bettrand sitzend mit den Puschen einen temperamentvollen Steptanz aufs Parkett legte.
In diesem Patientenzimmer konnte man an allerlei Gebrechen leiden, aber bestimmt nicht an Langerweile.