Nordlichter
Kopf
Freitag, 30. September 2005
Wieder zu Haus
Dienstag wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Eingewiesen hatte mich mein Onkologe am 13. September. Nach der 2. Chemotherapie hatte ich massive Probleme das Bisschen, was ich gegessen hatte, auch bei mir zu behalten. Da mir dann auch noch jegliche Flüssigkeit, wie Wasser oder Tee aus dem Gesicht fiel, hielt ich es doch für geraten ins Krankenhaus zu fahren.

Als ich meinen Kopf ins Schwesternzimmer steckte, sagten die Schwestern, ich würde furchtbar aussehen, und sie würden sofort den Oberarzt anrufen. Er kam dann auch gleich und fragte mich, wie es mir gehen würde. Ich antwortete wahrheitsgemäß beschissen und schilderte mein Problem. Mein Doktor meinte daraufhin, so würde er mich nicht nach Hause schicken. Ich müsste im Krankenhaus bleiben und erstmal aufgepäppelt werden. Er schrieb auch gleich die Einweisung ins Krankenhaus aus und sagte, er würde mit Greifswald telefonieren, um die Bestrahlung auszusetzen. Die Schwester begleitete mich dann hoch auf die Station. Da lag ich dann im alten Zimmer, am alten Platz nur in einem komfortableren Bett. Kopf- und Fußteil ließen sich per Knopfdruck in die richtige Position bringen.

Ich war nur mit meinem kleinen Lederrucksack eingerückt. Das rosa Nachthemd stellte das Krankenhaus. Ich konnte meine Freundin auf Arbeit anrufen und sie bitten, mir am Abend alles Notwendige zu bringen und meine Großfamilie zu unterrichten. Eine Telefonliste hatte ich nicht dabei und mein Handy auch nicht. Jeder, der schon mal im Krankenhaus war, weiß, telefonieren mit den dortigen Patientenapparaten ist ein teures Vergnügen. In meiner Wohnung hatte ich alles stehen und liegen gelassen, in der Annahme ich käme gleich wieder.

Durch die ganze Aufregung meldete sich mein stillgelegter Darmabschnitt zurück. Mit dem Tropf, den ich mitschleppen musste, schaffte ich es nicht rechtzeitig auf die Toilette. Anschließend brauchte ich ein neues Nachthemd und einen neuen Slip. Die Schwester beseitigte die Schweinerei. Mein Hintern war außerdem durch die Bestrahlung blutig entzündet. Beim Wasserlassen schmerzte es auch. Ich erhielt als Nothilfe einen Schwimmring aus der Gynäkologie und Zinksalbe. So konnte ich wenigstens auf dem harten Stuhl sitzen.

In der Zeit, in der ich im Krankenzimmer lag, wechselte dreimal die Besatzung. In der ersten Woche habe ich nur gebrochen und gewürgt. Die beiden älteren Damen nahmen es gelassen. Sie aßen mit großem Appetit, während ich über den Port künstlich ernährt wurde. Zwischenzeitlich war der Port verstopft. Die Schwester und die Ärztin schafften es nicht ihn freizuspülen. Als letzte Rettung kam der Arzt, der im Gegensatz zu den anderen schmalen, schlanken Medizinern über eine kräftigere Figur verfügte. Er sagte mir, er würde jetzt den Port frei machen, und fragte dann, ob ich etwa Angst vor ihm hätte. Meine Antwort "na klar" brachte ihn und den Studenten, der mit ihm gekommen war, zum Lachen. Der Arzt schaffte es den Port freizuspülen.

Wenn ich es nicht schon gewusst hätte, wem ich alles am Herzen liege, nach diesen erneuten zwei Wochen Krankenhaus wüsste ich es. Meine Großfamilie, meine Freunde und meine Arbeitskollegen machten sich große Sorgen um mich. Danke meine Lieben! Ohne Euch würe diese Krankheit für mich viel schwerer zu ertragen.

Wegen meiner Brechorgien wurde am Montag eine Magenspiegelung angesetzt. Auf diese Erfahrung hätte ich gern verzichtet. Mir war noch die Magensonde in schlechter Erinnerung. Unangenehmer als eine Magenspiegelung ist ohne Zweifel eine Darmspiegelung. Zum Glück wurde nichts gefunden. Das Gewürge hatte mein Magen schon am Freitag eingestellt. Bei der Visite am Montag wurde mir aber gesagt, dass ich frühestens am Wochenende entlassen werden könnte. Die Tropfbatterien, die ich erhielt, müssten bis dahin langsam zurückgefahren werden. Bei der Chefarztvisite am Dienstag war dann plötzlich alles nicht mehr wahr. Der Chefarzt legte fest, ich könne sofort entlassen werden. Niemand widersprach, von einem langsamen Rückfahren der Tropfmedikamente war nicht mehr die Rede. Nicht, dass ich mich nicht freute nach Hause zu können, aber irgendwie kam das nun einem Rausschmiss gleich.

Außerdem hatte ich jetzt das Problem, wer holt mich ab, fährt mich nach Hause und kauft dann für mich ein. Meine Sippe wohnt in Berlin. Da bräuchte ich schon zwei Tage Vorwarnzeit. Meine Freundin muss Dienstag bis 17.30 Uhr arbeiten. Blieb nur noch meine Chefin. Ihre Mutti ist ähnlich erkrankt wie ich, und sie weiß, wie man sich da fühlt. Sie holte mich mittags ab, trug meine schwere Reisetasche, platzierte mich zu Hause auf mein Sofa, gab mir die Anweisung mich nicht zu rühren und kaufte für mich ein. Wer kann noch mit solcher Chefin dienen?

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