Nordlichter
Kopf
Peter Mayle - Mein Jahr in der Provence
Während der letzten drei Wochen in der Greifswalder Uniklinik, hatte ich durch die, für mich belastenden Untersuchungen, nicht viel zu lachen. Meine Freundin Beate schaffte es aber immerhin dreimal vorbeizuschauen. Dabei versorgte sie mich mit Tomaten, Äpfel und Bananen. Ihr Mann hatte auch wieder jene Art von Kuchen gebacken, von der er wusste, dass ich den liebend gerne essen würde, Obstkuchen mit knackigen Streuseln. Die beiden scheinen zu befürchten, dass ich total vom Fleische fallen werde, wenn sie dem nicht abhelfen. Im Moment fühlen sie sich bestätigt, denn ich sehe wieder wie ein Hungerhaken aus.

Um mich ein wenig aufzumuntern hatte Beate mir ein schmales Büchlein mitgebracht. „Mein Jahr in der Provence“ vom englischen Autor Peter Mayle ist bereits 1989 vor fast zwanzig Jahren erschienen. Peter Mayle hat seinen Reisebericht genau in jenem Stil geschrieben, den ich an britischen Gegenwartsfilmen so liebe, mit humorvollem Blick auf die Widrigkeiten des alltäglichen Lebens. Bei der Schilderung meiner Krankengeschichte versuche ich mich ja auch darin. Seit meiner Krebserkrankung sind meine Reisebeschreibungen doch etwas rar geworden. Meine letzte Urlaubsreise liegt drei Jahre zurück. In der Provence war ich im Oktober 1999 nur zu einem kurzen Abstecher in Nizza, Cannes und Grasse, denn das eigentliche Reiseziel war Ligurien. Es war eine der schönsten Fahrten, die ich je unternommen habe. Von den kulinarischen Genüssen sowohl in Frankreich als auch in Italien schwärme ich heute noch.

Blumenmarkt in NizzaAbgesehen von meinem Faible für das dortige Essen, die Sommer in der Provence wären mir auf Dauer und besonders jetzt als Trägerin von neckischen gummierten Langschäftern deutlich zu heiß. Peter Mayle und seine Frau plagten keins meiner Problemchen, und so kauften sie sich einen alten Bauernhof zu Füßen von Bergen und eines Nationalparkes. Die zwölf Monate bilden die Kapitel des Buches und der Leser erfährt auf amüsante Weise wie es dem Ehepaar gelingt, in ihrem Tal heimisch zu werden. Die erste Hürde nehmen sie beim Essen bei den Nachbarn. Sie wurden dorthin eingeladen, um von deren Freunden und Verwandten gebührig beäugt zu werden. Glaubt man Peter Mayle, dann war das, was ihnen dort geboten wurde, ein quantitativ und qualitativ unvergessliches Festmahl.
Wir aßen an diesem Abend für die Ehre Englands.
Als die beiden englischen Gäste bis zur Oberkante ihrer Unterlippe abgefüllt waren, sollte Peter Mayle noch ein großes Glas leeren.
Ich sah mich voller Verzweiflung am Tisch um. Alle Augen ruhten auf mir; es gab keine Chance, das Zeug dem Hund zu geben oder es direkt in den Schuh tröpfeln zu lassen. Mit einer Hand suchte ich am Tisch Halt, mit der anderen griff ich nach dem Glas, machte die Augen zu, betete zum Schutzpatron der Verstopften und kippte es hinunter.
Zu seiner Erleichterung handelte es sich um ein Trickglas. Es war leer.

Die High Society, die sich ja auch dort unten herumtreibt, spielt in den Schilderungen Peter Mayles keine Rolle. Nach etlichen Monaten in der Provence stellt er angesichts einer eleganten Party fest:
Es gab keine Zweifel; wir waren Waldschrate geworden.
Der Autor führt dem Leser die liebenswerte Schrulligkeit der ganz normalen Leute vor Augen. Zum Beispiel den Nachbarn Massot, ein Unikum, das mit drei bissigen Hunden im Schattental nebenan lebt, das er für 1 Million Francs verkaufen möchte. Von Massot erhält Peter Mayle ein Rezept für jungen Fuchs in Blutrotweinsoße. Dann gibt es noch den Maurer Didier mit Cockerspaniel, den Architekten Christian, den Gipser Ramon, der Bier trinkt und ohne Wasserwaage eine gerade Decke einzieht, den modisch-eleganten Poolreiniger Bernard, der Zahnärzte in die Finger beißt, und seinen Gehilfen Gaston. Ihre Nachbarn das Ehepaar Faustin gewannen die Mayles dadurch für sich, dass sie die Weinberge erhielten und nicht wie andere Neubürger in Landschaftspark, Golf- oder Tennisplätze umwandelten.
Der Leser erlebt mit dem englischen Paar den 1. Mistral:
Alle Probleme, die nicht den Politikern angelastet werden können, rühren vom Sâcré Vent her, ...
Sie hielten die Schilderungen über den Mistral für eine typische provenzalische Übertreibung. Der Klempner Monsieur Menicucci und sein Lehrling Jeune reparierten dann die Schäden. Zum Erstaunen der Neubürger fällt Schnee in der Provence und die Winterküche unterscheidet sich deutlich von der im Sommer. Peter Mayle und seine Frau finden das Essen und seine Zubereitung genauso wichtig wie ihre provenzalischen Freunde. Der Leser freut sich mit ihnen bei den Streifzügen durch die Märkte und die Restaurants der Gegend. Der Bodenreiniger Monsieur Bagnols begutachtet Drei-Sterne-Restaurants während seiner zweistündigen Mittagpause. Er hat in Liverpool Lammbraten gegessen, wie er Peter Mayle verriet. Sein Fazit:
... es ist ja bekannt, daß die Engländer ihr Lamm zweimal töten; einmal beim Schlachten und das zweite Mal beim Kochen.
Peter Mayle berichtet vom plötzlichen Interesse von Freunden und flüchtigen Bekannten an ihrem Hotel "Umsonst", und wie wichtig das Wörtchen nein ist. Als Bundesbürger mag man gar nicht glauben, dass die französische Bürokratie mindestens genauso effizient wie die deutsche ist, Beispiel Haus- und Autokauf. Um die Handwerker doch noch vorm Weihnachtsfest zum Abschluss der Bauarbeiten zu bewegen, hat Frau Mayle eine geniale Idee, die ich hier nicht verrate. Lest es selbst!