Nordlichter
Kopf
Gespiegelt und gescreent
Gemeinerweise hat mein Onkologe mir die anstehende Koloskopie nicht erlassen. Ich habe hier im Blog schon mehrfach geäußert, was diese Untersuchung für mich bedeutet. Eine Darmspiegelung erfüllt für mich den Tatbestand der Folter. Man braucht sie mir nur anzudrohen, und schwupps würde ich jedes Verbrechen, das ich nicht begannen habe, gestehen. Wie tröstlich für mich, dass es im Web noch mehr Angsthasen gibt. Leider trotzt der Artikel dieses Hasenfußes von sachlichen Fehlern. Für seine Furcht vor der Untersuchung habe ich volles Verständnis, für seine machomäßigen verbalen Entgleisungen jedoch nicht. Vielleicht kann oder will er nicht verstehen.

Ja ich gebe es zu, ich bin auch eines dieser schreckhaften Weibchen, von denen im Artikel die Rede ist. Ich hatte beides erst den Krebs am Darm, dann den in der Brust. Dank der Narben von Darmkrebs- und Lebermetastasenoperation schaut mein Bauch aus, als wäre ich bei dem Versuch Harakiri zu begehen gescheitert. Mit etwas gutem Willen kann man daraus ein großes T und ein auf der Seite liegendes kleines i erkennen, mein Pseudonym im Web. Ich trage es gelassen auf dem Bauch. Die Narbe an meiner rechten Brust ist jedoch von anderer Qualität. Obwohl sie gemessen mit denen auf dem Bauch winzig erscheint, fühle ich mich als Frau beschädigt.

Entdeckt wurde der Brustkrebs beim Mammographiescreening. Ich war vorher noch nie bei einer solchen Untersuchung, und nein, ich habe auch nie Hormone gegen irgendwelche Beschwerden eingenommen. In meiner gesamten Sippe gab es nicht einen einzigen Fall von Brustkrebs. Ich kenne das Für und Wider der Argumente bei dieser Untersuchung. Eigentlich hatte ich keinen hinreichenden Grund an dem Screening teilzunehmen. Aber da war diese Sache an meinem Darm. So ging ich hin, Treffer. Der Krebs war unter 1 cm groß, nicht tastbar und hatte noch nicht gestreut. Inzwischen bin ich ihn los.

Aus irgendwelchen Berichten zum Thema Mammographiescreening weiß ich, dass neun Frauen diese Untersuchung mit allem, was dazugehört, erleiden müssen, damit eine wie ich gefunden wird. Den Kommentatoren erschien dieser Preis zu hoch. Aus der Perspektive einer Krebskranken stellt sich das natürlich anders dar. Bei dem Jammer, das diese Erkrankung nicht nur für die Patientin sondern auch alle ihr Nahestehenden mit sich bringt, halte ich das Ungemach jedoch für akzeptabel. Trotz aller Leiden, Behinderungen und Nachteile die meine nun schon zwei Jahre andauernde Erkrankung mit sich bringt: Ja, das Leben ist immer noch lebenswert für mich, und ja, es lohnt sich dafür zu kämpfen. Ich bin dankbar, dass es Krebsvorsorge gibt.

Die Darmspiegelung ist keineswegs ein altmodisches Verfahren. Gegenüber dem CT hat sie den Vorteil, dass es keine Strahlenbelastung gibt. Darmpolypen, die als Vorstufe von Darmkrebs gelten, können direkt entfernt werden. Gemessen an meinem bisherigen Leidensweg, ist die Kolloskopie nur eine geringe Plage. Es war, glaube ich, meine siebte innerhalb dieser zwei Jahre. Wie gesagt, mein Onkologe hat brutal auf die Darmspiegelung bestanden, da billigte er keine mildernden Umstände. Aber nett, wie er ist, verordnete er mir ein anderes Mittel zum Darmputzen und eine Betäubung während der Untersuchung. Das hatte die Ärztin schon an der Uniklinik in Greifswald so gehalten, die meinen Darm zweimal koloskopierte. Bei meiner allerersten Darmspiegelung in einer Demminer Arztpraxis war ich ja drauf und dran gewesen, dem untersuchenden Doktor vom Tisch zu springen.

Die Anästhesistin hatte mir im Vorgespräch erklärt, bei schmalen Personen wie mir sei diese Untersuchung oft sehr schmerzhaft. Eine meiner Freundinnen hingegen hatte überhaupt keine Probleme gehabt. Ihr war die Darmspiegelung von der Krankenkasse bezahlt worden, weil es in ihrer Familie gehäuft Darmkrebs gegeben hatte. Die gesetzlichen Darmkrebsvorsorge wird ja sonst erst ab dem 56. Lebensjahr durchgeführt, weil die meisten Fälle in höherem Lebensalter auftreten. Die Darmspiegelung ergab bei meiner Freundin zum Glück keinen Befund. Die Anästhesistin war der Meinung heutzutage müsse niemand bei dieser Untersuchung Schmerzen erleiden. Wenn sie es ermöglichen könne, dann wollte sie mich höchstpersönlich in den Dämmerzustand versetzen. Damit war ich sehr einverstanden.

Das Mittel zur Darmreinigung bestand aus zwei kleinen Fläschchen einer Flüssigkeit, die mit Wasser verdünnt genau nach Vorgabe getrunken werden musste. Die Wirkung war wie gehabt. Ich verwischte fünf Rollen Toilettenpapier und verrieb ½ Dose Penatencreme. Mein Hintern hätte wieder als Zierde jedem Pascha einer Pavianherde zu Ehre gereicht. Am nächsten Tag kurz vor sieben holte mich eine Freundin ab. Sie fuhr mich zum Kreiskrankenhaus. Um mir die Wartezeit angenehm zu verkürzen hatte sie mir ein Büchlein mit Mischpokengeschichten in die Hand gedrückt. Die Schwester teilte mir ein Zimmer im ambulanten Zentrum zu. Dort döste ich im Bett vor mich hin und hatte das Büchlein erst zur Hälfte gelesen, als mich zwei Schwestern zur Untersuchung holten.

Ich stieg erst in ein grünes Nachthemd und dann ins Bett. So fuhren mich die beiden in den Untersuchungsraum. Dort musste ich die bekannten blauen Shorts mit der Öffnung an der Rückseite überstreifen. Der Arzt, ein weißhaariger, älterer und rundlicher Herr, konnte nicht verstehen, wieso ich denn unbedingt nakotisiert werden muss. Weil ich ihm sonst vor Schmerzen vom Bett hopsen würde, stellte ich klar. Er stocherte in meiner Armbeuge herum ohne eine Vene zu treffen. Ich schaute mich hilfesuchend nach der Anästhesistin um, die inzwischen gekommen war. Sie übernahm den Part sofort, indem sie sagte, der Doktor könne sich um seine eigentliche Aufgabe kümmern, sie würde das hier schon machen. Sie piekte mir die Flexüle in die Hand. „Jetzt wird mir schummrig.“, bemerkte ich.

So richtig zu mir kam ich erst wieder im Patientenzimmer. Mein Bauch war bretterhart und aufgeblasen wie ein Luftballon. Die Schwestern wollten wissen, wie ich mich fühlte. Ich hatte starke Bauchschmerzen, so als würde mir jemand ein Messer in den Wanst rammen, und mir war leicht übel. Die Schwestern sorgten umgehend dafür, dass es mir besser ging. Ich tat das beste, was ich in diesem Moment tun konnte, schlafen. Die Luft entwich aus meinem Gedärm, die Schmerzen verschwanden. Die eine Freundin hatte mich ins Krankenhaus gebracht, eine andere holte mich aus dem Krankenhaus ab. Ich hatte nur noch Hunger.