Nordlichter
Kopf
Ouvertüre ins Leben
Vorhin habe ich den Artikel "Alter ego" noch einmal gelesen. Es klingt alles viel zu pessimistisch und verzweifelt. Im Augenblick scheint die Stimmung ins negative zu kippen, und das ist mir gar nicht recht. Ich möchte nicht, dass Ihr glaubt, ich würde hier im Weltschmerz versinken, weil ich im Moment Probleme habe, mit den Folgen meiner Krebserkrankung zu leben. Wahr ist, ich bin durch meine Krankheit von vielem ausgeschlossen, was für Gesunde normal ist. Ich kann nicht planen. Ob ich etwas unternehme, hängt davon ab, wie ich mich in dem Augenblick fühle. Mit mir kann man also nicht unbedingt rechnen. Dadurch, dass ich weder in den Händen noch den Füßen ein Gefühl habe, erscheint mir selbst Auto fahren momentan zu riskant. Mehr oder weniger, bin ich in meiner Klause eingesperrt. Ich leide schon darunter, dass ich seit zwei Jahren nicht in Urlaub fahren konnte. Das einzige was ich sah, waren verschiedene Kliniken in verschiedenen Orten. Gut, ich war in Plau am See zur Kur. Aber ich habe dort doch eher das eine Gefängnis gegen ein anderes eingetauscht. Denn verlassen konnte ich Plau ja auch nicht.

Im Moment weiß ich nicht weiter. Die Entspannungsübungen, die ich absolviere, helfen mir beim Einschlafen, lösen aber keins meiner Probleme: die Füße, die Hände, der Darm. Dennoch versuche ich zu leben in den Grenzen, die mir meine Krankheit steckt, und die ich akzeptieren muss. Mein großes Ziel ist, nach dem Sommer wieder Arbeiten zu gehen, und sei es auch nur für zwei Stunden. Dann sehen wir weiter. Damit das kein Traum bleibt, gehe ich spazieren, obwohl es mir schwerfällt, obwohl die Füße schmerzen und der Bauch rumort. Treppen versuche ich inzwischen auch zu ersteigen, ohne den Fahrstuhl zu benutzen. Als positiver Nebeneffekt habe ich jetzt wieder so etwas wie einen ordentlichen Hintern. Die Rückseite besteht nicht mehr nur aus Haut und Knochen. Ich kann nun einigermaßen schmerzbefreit sitzen. Trotzdem, die Behinderungen bleiben.

Weihnachtsboot "Hansestadt Demmin"

Meine Genesung nach der zweiten Chemotherapie hatte ich mir weiß Gott anders vorgestellt. Eigentlich bin ich meist sehr fröhlich und optimistisch. Die Kehrseite ist, wenn ich in ein Schwarzes Loch falle, dann ist es dunkler und tiefer als bei anderen. Die Krankheit schlägt mir aufs Gemüt. Zu meinem Glück habe ich aber Menschen um mich, die gar nicht zulassen, dass ich mich in Schwarze-Löcher-Tiefseetauchen übe. Ich wurde mehrfach gekidnappt und auf drei verschiedene Weihnachtsfeiern verschleppt. Ja, ich wurde sogar gezwungen Weihnachtslieder zu singen und dann auch noch alle Strophen. Ich bin immer wieder dankbar, dass ich Euch habe, die richtigen Freunde und die richtigen Arbeitskollegen. Und Ihr steht mir immer noch zur Seite. Womit habe ich Euch bloß verdient?

Weihnachtliche Kaffeetafel

Ihr laßt mir einfach keine Chance in großer Traurigkeit unterzugehen. Ich werde über alles berichten, was ich sonst so treibe, außer krank zu sein. Auf meinem Nachtschrank liegen einige Bücher, die gelesen oder gehört werden wollen. Ich werde Euch verraten, wie man Orchideen in einer ganz normalen Wohnung pflegt. Ihr könnt mit dabei sein, wenn ich Linux auf meinem Notebook installiere. Und ich sehe mir gerne Filme an. Worüber ich rede, werden nicht die allerneusten Hits sein, das machen schon andere. Ich werde einfach über Dinge erzählen, die mir gefallen oder auch nicht. Ihr habt es nicht anders gewollt.

Am Wochenende kommt mein Bruder, und ich werde schon wieder entführt. Diesmal geht es nach Berlin. Weihnachten in der Großfamilie, das hatte ich mir so sehr gewünscht. Nach den Feiertagen bin ich wieder hier. Denn mir wurde versprochen, ich könnte noch im alten Jahr ein Paar tolle, superenge Strümpfe anprobieren. Eine Lymphdrainage habe ich auch gleich am 2. Januar.

Ja es ist Weihnachten. Ein schönes Weihnachtsfest Euch allen!