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Dienstag, 1. Januar 2008
Alte Leiden - neue Katastrophen
Dienstag, 1. Januar 2008, Kategorie: 'Krankengeschichten'
Ich habe es bewusst vermieden zwischen den Feiertagen zu bloggen, um keinen von meinen Lesern das Fest zu verderben.
Der Termin in der onkologischen Sprechstunde, bei der die nächste Chemotherapie besprochen werden sollte, geriet zum Desaster. Ich zeigte meinem Arzt den dicken Mittelfinger. Der erschien ihm so suspekt, dass er mich sofort nach unten zum Röntgen schickte. Als ich wieder oben im Sprechzimmer war, hatte ich einen Termin bei meinem Doktor am nächsten Morgen und einen in Greifswald zur Skelettszintigraphie. Mein Onkologe berichtete mir anderntags, die Chirurgen hätten anhand des Röntgenbildes doch eine Knochenmetastase festgestellt, OP-Termin am Donnerstag. Ich hätte noch die Option einer örtlichen Betäubung gehabt, aber ich beschloss, bei dieser Operation nicht dabei sein zu wollen.
Zum Glück musste ich an diesem 20. Dezember nicht lange warten, sondern durfte gleich das schöne Krankenhausnachthemd überstreife und ins Bett hüpfen. Dann ging es auch schon hinunter in den OP. Auf die LMAA-Tablette hatte ich verzichtet. Es war meine 6. Operation. Im Aufwachraum hatte ich zuerst etwas Atemprobleme. Dort, wo vorher mein Mittelfinger gewesen war, hatte ich einen dicken Verband. Die Schwester sorgte dafür, dass die Schmerzen im erträglichen Rahmen blieben. Auch oben auf der Station blieb das dank der Ärzte und Schwestern so.
Inzwischen rückte das Weihnachtsfest näher und die Zahl der Patienten verringerte sich. Deshalb wurden die zwei chirurgischen Stationen zusammengelegt. Aus dem Schwesternzimmer klang Weihnachtsmusik herüber. Als ich klingelte und um eine Kanne Fencheltee bat, kam eine Schwester wütend ins Zimmer geschossen. Wie ich es wagen könne, deswegen die Klingel zu betätigen. Sie würden sich Blutblasen laufen. Ich solle bei solchen Wünschen gefälligst nach vorn ins Schwesternzimmer kommen. Wenn ich im Bett liege, sieht mir niemand meine körperliche Schwäche an. Lust zu streiten hatte ich keine. Ich stimmte der Dame zu in der vollen Absicht, dann vor dem Schwesternzimmer zusammenzubrechen. Meinen Fencheltee bekam ich übrigens später von einer anderen sehr netten Schwester.
Neben mir lag eine Patientin, die sich das Bein oberhalb des rechten Fußes glatt durchgebrochen hatte. Sie hatte einen Mann und vier Kinder zu Hause, die jüngste Tochter war 14 Jahre alt. Der älteste Sohn war noch keine 25, Vater einer kleinen Tochter und alkoholabhängig. Er war auf Urlaub aus dem Entzug gekommen. Seiner Mutter erzählte er bei einem Besuch stolz, dass er sich beim letzten Diskoaufenthalt bis zum Stehkragen abgefüllt hatte. Als ihr Sohn gegangen war, weinte die Frau hemmungslos. Ich konnte sie nicht trösten. Sie hatte so gehofft, dass ihr Sohn über die Feiertage in seiner Entzugsgruppe hätte bleiben müssen. Auch war sie wütend auf ihren Mann, der einen Teil des kleinen Weihnachtsgeldes an die Söhne zum Diskobesuch verteilte. Sie hatte konsequent festgelegt, das Geld gibt es erst am Heiligen Abend. Die Kinder kamen und berichteten von den Kochkünsten ihres Vaters. Die Mutter hielt es nur mit Mühe in ihrem Krankenbett. Am Weihnachtstag gab ihr der Arzt für einige Stunden Urlaub. Sie hätte aber dann mit einem Auto chauffiert werden müssen. Ein solches besaß die Familie nicht. Ich glaube, sie ist auch Weihnachten im Krankenhaus geblieben.
Mich jedoch holte am 24. Dezember mein Bruder ab, er versorgte mich auch zu Hause. Von meinem Mittelfinger durfte ich nur das dicht bandagierte untere Glied mitnehmen. Knochenmetastasen treten leider nie einzeln sondern immer im Rudel auf. Eine weitere hat sich in meinem rechten Wadenbein eingenistet. Am 27. Dezember hatte ich die erste Chemositzung. Weil ich an der rechten Schulter eine Auffälligkeit entdeckt hatte, ließ ich meinen Onkologen einen Blick darauf werfen. Nach der Chemo musste ich deshalb zum MRT. Weil ich immer noch schwächlich bin, fuhr mich die Schwester, die die Kranken psychisch betreut schnell in die Praxis. Sie wich auch dort nicht von meiner Seite und ging erst, als ich in die Röhre musste. Der Röntgenarzt telefonierte nach der Untersuchung mit meinem Onkologen. Ich wurde zurück ins Krankenhaus geschickt, diesmal übernahm die Fahrt mein Bruder, der inzwischen in die Praxis gekommen war.
Wir warteten in der Notfallambulanz. Das Gesicht meines Onkologen verhieß keine gute Nachricht. Ich leide an dieser schweren Krankheit mit allen Höhen und Tiefen mittlerweile 2 ½ Jahre. Nun musste ich vernehmen, was jeder Krebspatient fürchtet. Es ist wiedergekommen und wächst weiter. Mein Doktor hatte inzwischen mit dem Hausarzt die Schmerzmedikation festgelegt. Ich erhalte Pflaster, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Mein Bruder musste leider am Nachmittag zurück nach Berlin. Ich überließ es ihm mit den Eltern zu telefonieren. Aber ich war nicht lange allein, erst kam die Schwester, mit den Schmerzpflastern aus der Apotheke und dann meine Freundin Beate. Beate war inzwischen oft hier, keine Ahnung, wie ich die Sache ohne sie packen würde. Ich weiß nur, bedingungslose Freundschaft ist etwas sehr Schönes, und ich bin dankbar, dass ich sie erfahren darf. Beate hat auch hier mit mir den Jahreswechsel gefeiert. Was ich nicht möchte, ist mir selbst den Rest meiner Zeit zu vermiesen.
Am Nachmittag des Chemotages rief mein Onkologe an. Er hatte sich in Greifswald mit einem Professor beraten. Die erste Januarwoche will er mich in die Uniklinik schicken. Vielleicht wäre Bestrahlung noch eine Möglichkeit, den Krebs zu begrenzen. Ich jedenfalls muss alle Eventualitäten ins Auge fassen. Praktisch, wie Beate veranlagt ist, hat sie mir einige Formulare ausgedruckt, und ich habe inzwischen einiges unterschrieben, um die Dinge zu regeln. In Deutschland geht es nun mal nicht ohne Formulare, auch nicht in dieser Angelegenheit. Ich habe mir auch schon lange vorher über den schlimmsten Fall Gedanken gemacht. Wenn es denn sein muss, halte ich es für mich das beste, den Rest meiner Tage in einem Hospiz zu verbringen. Ich will dann nicht im Krankenhaus sein. Ich habe keine Ahnung, wie es mit mir weitergeht, und ob ich die Kraft finden werde, hier noch einmal zu bloggen.
Also ist es erstmal Zeit sich zu verabschieden. Lebt wohl, meine Lieben!
Der Termin in der onkologischen Sprechstunde, bei der die nächste Chemotherapie besprochen werden sollte, geriet zum Desaster. Ich zeigte meinem Arzt den dicken Mittelfinger. Der erschien ihm so suspekt, dass er mich sofort nach unten zum Röntgen schickte. Als ich wieder oben im Sprechzimmer war, hatte ich einen Termin bei meinem Doktor am nächsten Morgen und einen in Greifswald zur Skelettszintigraphie. Mein Onkologe berichtete mir anderntags, die Chirurgen hätten anhand des Röntgenbildes doch eine Knochenmetastase festgestellt, OP-Termin am Donnerstag. Ich hätte noch die Option einer örtlichen Betäubung gehabt, aber ich beschloss, bei dieser Operation nicht dabei sein zu wollen.
Zum Glück musste ich an diesem 20. Dezember nicht lange warten, sondern durfte gleich das schöne Krankenhausnachthemd überstreife und ins Bett hüpfen. Dann ging es auch schon hinunter in den OP. Auf die LMAA-Tablette hatte ich verzichtet. Es war meine 6. Operation. Im Aufwachraum hatte ich zuerst etwas Atemprobleme. Dort, wo vorher mein Mittelfinger gewesen war, hatte ich einen dicken Verband. Die Schwester sorgte dafür, dass die Schmerzen im erträglichen Rahmen blieben. Auch oben auf der Station blieb das dank der Ärzte und Schwestern so.
Inzwischen rückte das Weihnachtsfest näher und die Zahl der Patienten verringerte sich. Deshalb wurden die zwei chirurgischen Stationen zusammengelegt. Aus dem Schwesternzimmer klang Weihnachtsmusik herüber. Als ich klingelte und um eine Kanne Fencheltee bat, kam eine Schwester wütend ins Zimmer geschossen. Wie ich es wagen könne, deswegen die Klingel zu betätigen. Sie würden sich Blutblasen laufen. Ich solle bei solchen Wünschen gefälligst nach vorn ins Schwesternzimmer kommen. Wenn ich im Bett liege, sieht mir niemand meine körperliche Schwäche an. Lust zu streiten hatte ich keine. Ich stimmte der Dame zu in der vollen Absicht, dann vor dem Schwesternzimmer zusammenzubrechen. Meinen Fencheltee bekam ich übrigens später von einer anderen sehr netten Schwester.
Neben mir lag eine Patientin, die sich das Bein oberhalb des rechten Fußes glatt durchgebrochen hatte. Sie hatte einen Mann und vier Kinder zu Hause, die jüngste Tochter war 14 Jahre alt. Der älteste Sohn war noch keine 25, Vater einer kleinen Tochter und alkoholabhängig. Er war auf Urlaub aus dem Entzug gekommen. Seiner Mutter erzählte er bei einem Besuch stolz, dass er sich beim letzten Diskoaufenthalt bis zum Stehkragen abgefüllt hatte. Als ihr Sohn gegangen war, weinte die Frau hemmungslos. Ich konnte sie nicht trösten. Sie hatte so gehofft, dass ihr Sohn über die Feiertage in seiner Entzugsgruppe hätte bleiben müssen. Auch war sie wütend auf ihren Mann, der einen Teil des kleinen Weihnachtsgeldes an die Söhne zum Diskobesuch verteilte. Sie hatte konsequent festgelegt, das Geld gibt es erst am Heiligen Abend. Die Kinder kamen und berichteten von den Kochkünsten ihres Vaters. Die Mutter hielt es nur mit Mühe in ihrem Krankenbett. Am Weihnachtstag gab ihr der Arzt für einige Stunden Urlaub. Sie hätte aber dann mit einem Auto chauffiert werden müssen. Ein solches besaß die Familie nicht. Ich glaube, sie ist auch Weihnachten im Krankenhaus geblieben.
Mich jedoch holte am 24. Dezember mein Bruder ab, er versorgte mich auch zu Hause. Von meinem Mittelfinger durfte ich nur das dicht bandagierte untere Glied mitnehmen. Knochenmetastasen treten leider nie einzeln sondern immer im Rudel auf. Eine weitere hat sich in meinem rechten Wadenbein eingenistet. Am 27. Dezember hatte ich die erste Chemositzung. Weil ich an der rechten Schulter eine Auffälligkeit entdeckt hatte, ließ ich meinen Onkologen einen Blick darauf werfen. Nach der Chemo musste ich deshalb zum MRT. Weil ich immer noch schwächlich bin, fuhr mich die Schwester, die die Kranken psychisch betreut schnell in die Praxis. Sie wich auch dort nicht von meiner Seite und ging erst, als ich in die Röhre musste. Der Röntgenarzt telefonierte nach der Untersuchung mit meinem Onkologen. Ich wurde zurück ins Krankenhaus geschickt, diesmal übernahm die Fahrt mein Bruder, der inzwischen in die Praxis gekommen war.
Wir warteten in der Notfallambulanz. Das Gesicht meines Onkologen verhieß keine gute Nachricht. Ich leide an dieser schweren Krankheit mit allen Höhen und Tiefen mittlerweile 2 ½ Jahre. Nun musste ich vernehmen, was jeder Krebspatient fürchtet. Es ist wiedergekommen und wächst weiter. Mein Doktor hatte inzwischen mit dem Hausarzt die Schmerzmedikation festgelegt. Ich erhalte Pflaster, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Mein Bruder musste leider am Nachmittag zurück nach Berlin. Ich überließ es ihm mit den Eltern zu telefonieren. Aber ich war nicht lange allein, erst kam die Schwester, mit den Schmerzpflastern aus der Apotheke und dann meine Freundin Beate. Beate war inzwischen oft hier, keine Ahnung, wie ich die Sache ohne sie packen würde. Ich weiß nur, bedingungslose Freundschaft ist etwas sehr Schönes, und ich bin dankbar, dass ich sie erfahren darf. Beate hat auch hier mit mir den Jahreswechsel gefeiert. Was ich nicht möchte, ist mir selbst den Rest meiner Zeit zu vermiesen.
Am Nachmittag des Chemotages rief mein Onkologe an. Er hatte sich in Greifswald mit einem Professor beraten. Die erste Januarwoche will er mich in die Uniklinik schicken. Vielleicht wäre Bestrahlung noch eine Möglichkeit, den Krebs zu begrenzen. Ich jedenfalls muss alle Eventualitäten ins Auge fassen. Praktisch, wie Beate veranlagt ist, hat sie mir einige Formulare ausgedruckt, und ich habe inzwischen einiges unterschrieben, um die Dinge zu regeln. In Deutschland geht es nun mal nicht ohne Formulare, auch nicht in dieser Angelegenheit. Ich habe mir auch schon lange vorher über den schlimmsten Fall Gedanken gemacht. Wenn es denn sein muss, halte ich es für mich das beste, den Rest meiner Tage in einem Hospiz zu verbringen. Ich will dann nicht im Krankenhaus sein. Ich habe keine Ahnung, wie es mit mir weitergeht, und ob ich die Kraft finden werde, hier noch einmal zu bloggen.
Also ist es erstmal Zeit sich zu verabschieden. Lebt wohl, meine Lieben!
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